Politik des Raums

Dass Architektur nicht unabhängig von sozialen Strukturen entwickelt wird, legt das Team der Architekturprofessorin Farshid Moussavi anschaulich dar. In der umfangreichen Publikation werden zunächst die gesellschaftstheoretischen Grundlagen präsentiert, die den hier gezeigten Gebäuden zugrunde liegen. Architektur wirkt auf mikropolitischer Ebene und soll durch subjektive Faktoren das Potenzial für Veränderungen des Lebensalltags unterstützen. Das Museum in Ohio etwa illustriert als ‚urbanes Wohnzimmer‘ den Gedanken, öffentliche Räume mit einladenden Kulturprogrammen zu verbinden und Diversität zu fördern, auch durch die Kombination unterschiedlicher Disziplinen. Architektur soll Neugier wecken und Kommunikation begünstigen, anstatt fixe Antworten zu geben. Beim Wohnbau LOT 19 in La Défense, Paris war die Aufgabe, Diversität in einem Gebäude anschaulich zu machen – also Angebote für Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und ökonomischen Backgrounds. Im Entwurf wird die rigide Geometrie des Viertels durch versetzte Balkone und unterschiedliche Geschoßhöhen aufgebrochen. In Montpellier übersetzte das Londoner Architekturbüro die aristokratische Tradition von Sommerresidenzen in einen Wohnturm mit leistbaren Apartments. Ein weiteres Museumsprojekt in Houston befasst sich wieder mit der Idee, dass Kultur ein öffentliches Gut sein muss. Die Publikation erfreut mit zahlreichen Bildern, Skizzen und Plänen, einem inspirierenden Essay von Farshid Moussavi und einem Nachwort von Jaques Rancière, zudem mit ästhetisch überzeugender Pragmatik.
Susa
Farshid Moussavi: Architecture & Micropolitics. Four Buildings 2011–2022. Farshid Moussavi Architecture. 588 Seiten, Park Books, Zürich 2022 EUR 69,90