Queere Holocaustgeschichte erzählen

Zeugnis geben ist immer ein sozialer Akt (…)“, also ein Akt, der nicht außerhalb historischer Kontextualisierung, normativer Denkmuster und somit auch heteronormativer Geschlechterkonzeptionen gesehen werden kann. Die Tatsache, dass bis zu vorliegender Forschung wenig über queere Opfer des Holocaust bzw. queere Praktiken bekannt war, erklärt die Autorin einerseits durch die Homophobie der Häftlingsgesellschaft und der Überlebenden (bzw. an der Stigmatisierung von queerem Verlangen, das Überlebende schweigen ließ) sowie anderseits durch eine lückenhafte Arbeit der Archive, die auch durch eine binäre, normative Brille von Historiker:innen gefärbt wurde und Machtstrukturen weiter tradiert hat. Binäre Zuschreibungen von homosexuellen Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen können jedoch der spezifischen sozialen Realität und Komplexität der (meist monosexuell organisierten) Lager sowie der Sexualität im Holocaust nicht gerecht werden und machen somit queeres Verlangen und queere Biographien unsichtbar. Dass es für das ‚Entdecken’ und ‚Dechiffrieren’ dieser Geschichten Sensibilität, Wissen sowie auch eine Offenheit gegenüber ambivalenten, schwierigen Erzählungen braucht, zeigt Anna Hájková exemplarisch anhand einiger Zeugnisse auf. Die queere Per­spektive ist nicht nur elementar, um den Opfern Name und Geschichte (wieder-) zu geben, sondern auch, um mit dieser Analysekategorie normative Geschichtsschreibung aufzubrechen und inklusiver zu machen. Wichtige Pionierarbeit.

Maria Hörtner

Anna Hájková: Menschen ohne Geschichte sind Staub. Queeres Verlangen im Holocaust. 126 Seiten, Wallstein, Göttingen 2024 EUR 18,00