Racial Profiling

2013 macht sich die österreichische Schriftstellerin Franziska vermittels eines Literaturstipendiums auf den Weg in die USA nach Green Bay, Wisconsin, und quartiert sich bei Joan Truttman ein, deren Ehemann Danny aufgrund eines Schlaganfalls im Pflegeheim untergebracht ist. Nach und nach erfährt Franziska mehr aus dem Leben von Danny, indem Joan neben ihren persönlichen Wahrnehmungen auch dokumentarische Protokolle über Danny aus seinen ersten Lebensjahren preisgibt. Danny ist ein ‚Mischling‘ und wird nach seiner Geburt von seiner ledigen weißen Mutter Carol Anfang der 1950er Jahre zur Adoption freigegeben, wobei die Herkunft des Vaters unbekannt ist. Ein kirchlicher Sozialdienst versucht mit allen Mitteln, den Vater des Kindes ausfindig zu machen, was letztlich in jeder Hinsicht die Kindesmutter unter massiven Druck setzt, so dass diese nicht nur ihren Job und ihre Wohnung verliert, sondern psychisch so labil wird, dass sie sich mit einer Überdosis Schlaftabletten umzubringen versucht. Danny wird als Pflegekind von einer armen Familie aufgenommen, die ihn schließlich adoptiert. Franziska, die selbst Tochter einer Koreanerin und eines Österreichers ist – man beachte die Ähnlichkeit zur Biografie der Autorin – entdeckt durch Dannys Lebensgeschichte ihre eigene Wurzellosigkeit und reflektiert, dass die äußeren Zuschreibungen zumeist tiefe Spuren hinterlassen, da sie die eigene persönliche Enwicklung empfindlich stören. Es wird deutlich, wie tief eingeschrieben die Vorurteile der anderen wirken und die persönliche Entfaltung stören. Anna Kim beweist mit ihrem neuen Roman, der für die Longlist sowohl des deutschen als auch des österreichischen Buchpreises ausgewählt wurde, ein weiteres Mal, wie kunstvoll sie Sprache einsetzen kann. Schön!

ML

Anna Kim: Geschichte eines Kindes. 224 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2022 EUR 23,70