Rose und Nachtigall

Sechs Jahre nach dem ersten Erscheinen hat dieser Lyrikband der mehrfach ausgezeichneten Dichterin nichts von seinem Zauber verloren. Schon der Titel lässt auf romantisch-mystische Inhalte schließen. Die Rose als Geliebte und die Nachtigall als Sehnsucht sind oft verwendete Symbole in der orientalischen Dichtung. „In meinem Herzen das Herz einer Nachtigall“, schreibt die Autorin und besingt in vielfältiger Sprache jene Liebe, die die Macht hat, uns in überirdische Dimensionen zu katapultieren oder in unterirdische Untiefen zu saugen. Liebe und Schmerz Hand in Hand, der Schmerz wie eine Person angesprochen. Und aufgelesene Träume fern vom Land der Rosen und Nachtigallen, die nicht immer rosarot sind, sondern oftmals verblasst, durchnässt oder zerknüllt. Safiye Can versteht es, mit gelungenen Metaphern und prägnanten Wortspielen und auch visueller Poesie diese verschiedenen Gesichter der Liebe auszuloten. In zarten, stimmigen Bildern, aber auch realistischen, alltagssprachlichen Beobachtungen erscheint die Liebe einmal als dunkle, dann wieder als helle Sache und ist wichtig, damit wir werden, wer wir sind. Im Land der Liebe ist alles möglich, und fern von diesem Land gibt es kein pulsierendes Leben, verwandelt sich zu Stein / was ich berühre / aus einem Stein wird keine Rose. In der Liebe gibt es Anfänge und Abschiede, kein Kommen von Neuem ist möglich, wenn nicht das Alte geht. Ein wunderbares Mutmach-Buch, sich trotz allem immer wieder auf die Liebe einzulassen.

Susanne Niebler

Safiye Can: Rose und Nachtigall. Liebesgedichte. 107 Seiten, Wallstein, Göttingen 2020 EUR 18,50