Schutzbundenkelinnen

Im dritten Teil der Trilogie über die Geschichte einer sozialistischen Wiener Familie stehen die Enkelinnen im Mittelpunkt. Angelehnt an die Realität, aber doch auch fiktiv, erzählt die Autorin Ljuba Arnautović in knapp gehaltener Sprache über Kindheit und Jugend von sich und ihrer Schwester. Ihr Vater Karl kehrt in den 1950er Jahren aus der Sowjetunion nach Wien zurück. Gemeinsam mit seinem Bruder war er eines der Kinder von Februarkämpfer*innen, die über die Tschechoslowakische Republik in die Sowjetunion geschickt wurden, um sie vor den Faschisten in Sicherheit zu bringen. Seine Erfahrungen in der Sowjetunion, Thema des zweiten Bandes Junischnee, reichen vom Ferienlager auf der Krim über ein Kinderheim für Schutzbundkinder bis zu Lageraufenthalten in Sibirien. Im Nachkriegsösterreich gilt Karl als Russe und damit als immer schon verdächtig. Er selbst verschreibt sich dem gesellschaftlichen Aufstieg, den er auf dem Rücken seiner Frauen verfolgt, rücksichtslos ihnen und auch seinen beiden Töchtern gegenüber. So lässt er die Töchter gemeinsam mit ihrer Mutter nach Wien nachkommen, steckt die Mädchen in Übergangszeiten in ein Kinderheim und trennt sie schließlich, sodass eine in München, die andere in Wien aufwächst. Vor dem familiären Hintergrund schildert die Autorin ihre eigenen Erfahrungen mit Widerstand in der 1968er Bewegung, mit der Repression in Deutschlands Herbst und den Kämpfen der 70er Jahre in Wien und München. In einer Nacht ausgelesen, ein spannendes, mitreißendes Buch über Zeitgeschichte. Zum Nachdenken regt an, was ausgelassen und was erzählt wird.

Sena Dogan

Ljuba Arnautović: Erste Töchter. 158 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2024 EUR 23,70