Sei kein Opfer
Als eine relativ neue Form der Drecksarbeit kann man den Beruf der Content-Moderatorin durchaus bezeichnen. Letztendlich wühlt sie sich durch eine Art Sumpf an albtraumhaften, grausamen oder absurden Zeugnissen menschlichen Versagens. So auch die Protagonistin Kayleigh in Hanna Bervoets’ Roman Dieser Beitrag wurde gelöscht. Sie ist Mitte zwanzig und arbeitet bei Hexa, einem Subunternehmen für eine nicht näher beschriebene Social Media Plattform. Dort sichtet sie Tag für Tag unter Hochdruck jene Videos, die die User*innen als problematisch einstufen ((sexualisierte) Gewalt, Tierquälerei, Kindesmissbrauch, Verschwörungstheorien, u.v.m.) und bewertet sie dann gemäß den Konzern-Richtlinien, ob sie freigegeben oder entfernt werden müssen. Der Roman ist aufgebaut als Gespräch mit dem Anwalt Stitic, der sich um eine Sammelklage von ehemaligen Mitarbeiter*innen bemüht. Wir erfahren, wo Kayleigh zuvor gearbeitet hat und warum sie sich für ihre Ex-Freundin schwer verschuldet hat. Vor allem erfahren wir aber von ihrer Beziehung zu Sigrid, einer Kollegin bei Hexa, in die sie sich verliebt und mit der sie eine neue Beziehung eingeht, bevor die Situation aus der Bahn gerät und die Beziehung ebenso wie der Job ein jähes Ende finden. Hanna Bervoets’ Roman wandert auf den verschwommenen Grenzen zwischen digitaler und physischer Wirklichkeit und verweist subtil auf die enorme psychische Belastung und den Verlust von Empathie als beinahe zwingende Konsequenz für diese (real existierende und Kämpfe austragende!) Berufsgruppe.
MD
Hanna Bervoets: Dieser Beitrag wurde gelöscht. 112 Seiten, Hanser Berlin, Berlin 2022 EUR 20,60