Sich gegen das ungerechte medizinische System auflehnen

Das Buch ist eine Reise durch 3000 Jahre Medizingeschichte im Spiegel der kulturellen und gesellschaftspolitischen Hintergründe. In der Antike wurden Frauen auf ihre Gebärmutter reduziert. So entstanden Vorstellungen vom „Ersticken der Gebärmutter“ und einem „unbeschäftigten Uterus“, der eine Vielzahl von Symptomen auslöste. Das Mittelalter war geprägt von religiösem Aberglauben und medizinischen Vorurteilen. Allein das Wissen der Männer entschied, wie Frauen geheilt werden konnten. Trotz zunehmender Forschung und Wissen zementierten Männer ihr patriarchales und paternalistisches System. Nach Medikamentenskandalen wurden alle Frauen im gebärfähigen Alter von klinischen Studien ausgeschlossen. Was Frauen zugemutet und angetan wurde, macht betroffen und wütend: von der Lobotomie, das ist eine neurochirurgische Operation, über die Entfernung von Klitoris, Eierstöcken und Gebärmutter bis hin zum Aufzwingen von Beruhigungsmitteln. Die Autorin bringt uns mutige Vorreiter:innen nahe, die Frauen eine Stimme gaben und sich gegen das ungerechte medizinische System auflehnten. Als promovierte Kulturhistorikerin und Feministin schildert Cleghorn ihre eigene Leidensgeschichte im Schlusskapitel, die auch den Anstoß für ihr Buch gab. Es ist sprachlich fesselnd, hervorragend recherchiert und durchgehend kritisch aufgearbeitet und ruft starke Emotionen hervor. Ein tolles Buch, das bewegt.

E. Stelzer

Elinor Cleghorn: Die kranke Frau. Wie Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen. 496 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022 EUR 26,50