Sich selber treu bleiben!

In der vorliegenden Autobiografie der Feministin Erica Fischer resümiert diese offen über die wichtigsten Etappen ihres Lebens. Einschneidende Erlebnisse, wie die Emigration ihrer Eltern nach England und nach Kriegsende 1948 die Rückkehr nach Wien, die von der jüdischen Mutter an sich nicht gewünscht war, und der Freitod ihres durch die frustrierte, vereinsamte Mutter traumatisierten Bruders 1999 erhalten ebenso Raum wie wechselnde Männerbekanntschaften. Letztere bleiben in der Beschreibung farblos, wenn man von ihrem aktuellen Lebenspartner absieht. Neben persönlich erlebter Geschichte werden von ihr wichtige Forderungen der autonomen Frauenbewegung in Österreich kommentiert, an der sie einen maßgeblichen Anteil trägt. Nachdem die Autorin mittlerweile 80 Jahre alt ist, reflektiert sie auch über den eigenen schwindenden Körper. Das Werk liest sich kurzweilig und zeichnet nach, welche politischen Ereignisse Erica Fischer geprägt haben und punktuell, welche politischen Positionen sie aktuell einnimmt. Sie bewertet kritisch Israels repressive Staatspolitik gegenüber den Palästinenser:innen oder die europäische Flüchtlingspolitik, die nach wie vor Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lässt oder die ethisch fragwürdige ukrainische Leihmutterschaft. Die Autobiografie liest sich als Mix aus zeitgeschichtlichen Erinnerungen und der Erzählung persönlicher Erfahrungen. Empfehlenswert!
ML
Erica Fischer: Spät lieben gelernt – Mein Leben. 219 Seiten, Berlin Verlag, Berlin 2022 EUR 22,70