Skurrile Charaktere und Alltagspoesie
Die Theatervorführung einer Grundschulklasse in Kernhausen erhitzt die Gemüter und erzeugt einen Shitstorm im Internet: Denn die Hauptfigur und Namensgeberin der Schule „Dini Donnerstein“ entdeckt „Fernland“ aus einer eurozentristischen und kolonial anmutenden Perspektive. Nun beginnt ein fast erbitterter Kampf für oder gegen die Umbenennung der Schule: vier ehemalige hochbetagte Schüler/-innen reisen extra an, um für die Beibehaltung des Namens zu kämpfen, Aktivist/-innen besetzen die Aula der Schule, um für eine politisch korrekte Alternative zu demonstrieren, die Elternschaft ist zweigeteilt. Dazwischen steht Bil Shivo, ein junger engagierter Lehrer, der über eine Schülerin seiner Klasse eine wahre Heldin kennengelernt hat, nämlich Yeter Güneş, die als 16-Jährige in den 1980-er Jahren vom türkischen Militärregime sechs Jahre als politische Gefangene eingesperrt und gefoltert wurde. Lilly Axster erzählt diese aktuell relevante Geschichte mit einer Vorliebe für gesellschaftliche Randgruppen und skurrile Charaktere und Situationen mit einem Schuss Gesellschaftskritik und berührender Alltagspoesie. Unterschiedlichste Lebensschicksale kreuzen und überschneiden sich, driften wieder auseinander, denn „wenn ich mein Gegenüber nackt sehe, ist es nicht nackt“.
Cornelia Axmann
Lilly Axster: Der Pullover trägt mich nicht mehr. 192 Seiten, edition assemblage, Münster 2022 EUR 16,95