Solidarische Netzwerke im Literaturbetrieb
Die 2015 gegründete Zeitschrift „PS – Politisch Schreiben“ wurde 2015 gegründet und widmet sich seither nicht nur der Veröffentlichung von (feministischer) Literatur, sondern nimmt auch deren Produktionsbedingungen und Ausschlussmechanismen in den Blick. Rebecca vom WeiberDiwan hat sich Anfang Mai mit Eva und Jiaspa von der PS-Redaktion getroffen und mit ihnen über die Enstehungsprozesse der neusten Ausgabe, veränderte Produktionsbedingungen unter Covid 19 und die Zukunftspläne von PS gesprochen.
WeiberDiwan: Im Herbst letzten Jahres ist die fünfte Ausgabe von Politisch Schreiben erschienen, eure Redaktion verteilt sich auf Berlin, Leipzig und Wien. Auslandsreisen sind derzeit ja nur sehr beschränkt möglich – Wie beeinflusst die gegenwärtige Situation eure Arbeit für PS?
Jiaspa: Es kommt uns zugute, dass wir über Grenzen arbeiten, dadurch sind wir schon lange an Skype-Redaktionssitzungen gewöhnt [lacht]. Das heißt, wir mussten uns nicht erst überlegen, wie wir jetzt zusammenfinden.
Eva: Wir treffen uns aber normalerweise schon so alle zwei Monate persönlich. Jetzt gerade hätten wir in Wien die Lektoratstage, da würden wir zusammen all die Texte besprechen, die in die neue Ausgabe kommen, Lektoratsvorschläge machen und dann mit den Autor_innen diskutieren. Wir machen diese Lektorate jetzt über Skype, und ich muss sagen, so zusammenzusitzen, ganz gebündelt, eine Woche lang und gemeinsam intensiv an den Texten zu arbeiten – mir fehlt das schon.
WeiberDiwan: Ihr bekommt immer sehr viele Einsendungen – wie entscheidet ihr, welche Texte veröffentlicht werden?
Jiaspa: Ich glaube, der große Unterschied, was PS anders macht als andere Zeitschriften, ist, dass wir sehr viel Wert auf die Vita legen, also darauf, wen wir veröffentlichen. Weil wir für uns dieses ‚Politisch Schreiben‘ so gelöst haben, dass es uns nicht primär um den Inhalt der Texte geht, sondern auch um die politische Haltung der Person, die schreibt. Es geht bei PS viel um Repräsentation und Marginalisierung im Literaturbetrieb – wir versuchen diese Strukturen anders zu denken und aufzubrechen.
Eva: Im Laufe der Jahre sind immer mehr Einsendungen gekommen, was bei der Nummer #4 zu diesem Buch [hält ein 318 Seiten starkes, gebundenes Buch in die Luft] geführt hat. Die Zahl der Einsendungen steigt noch immer. Das ist schön, weil sich PS nicht nur als Zeitschrift, sondern primär als Netzwerk versteht. Und wenn wir sagen, wir legen Wert auf die Viten, heißt das nicht das zehnte Schreibstipendium oder den zehnten Preis, sondern eher: Personen, die nicht so leicht Zugang zum Literaturbetrieb haben – zum Beispiel aufgrund von Erkrankungen, aufgrund von Deutsch als Zweitsprache.
Bei der Ausgabe, an der wir jetzt gerade arbeiten, waren es über neunzig Einsendungen, und unsere Kapazitäten reichen für 15 Texte. Der Textproduktionsprozess wird gemeinsam mit den Autor_innen gemacht, das heißt, wir machen die Lektorate, wir diskutieren Vorschläge und arbeiten dann auch teilweise sehr intensiv mit den Autor_innen an den Texten weiter.
Jiaspa: Das ist eine der schönsten Arbeiten, weil da passiert ganz viel von diesem Umverteilen vom Zugang zum Literaturbetrieb. Nicht alle in der Redaktion waren an Sprachinstituten, aber schon ein paar und ganz viele Leute, die uns Texte schicken, haben ihre Texte noch nie mit jemanden durchbesprochen und da kommt dann soviel Dankbarkeit dafür – du liest es aufmerksam, du gibst Rückmeldungen auf literarischer Ebene, aber gleichzeitig mit diesem politischen Hintergrund. Das ist enorm zeitintensiv, uns aber auch sehr wichtig.
WeiberDiwan: Eine eurer Ausgaben ist dem Thema „Genie vs. Kollektiv“ gewidmet. Außerdem habt ihr angefangen, in PS die Lektor_innen der Texte zu nennen. Das ist ein interessanter Ansatz – warum habt ihr euch zu diesem Schritt entschlossen?
Jiaspa: Kein Text entsteht in einem Vakuum. An jedem Text arbeiten mehrere Leute. Aber verankert ist ein ganz anderes Bild: Dass Menschen das ganz alleine durchmachen.
WeiberDiwan: Also geht es um die Sichtbarmachung dieser Arbeit?
Eva: Genau, und um zu zeigen, dass niemand einen Text einfach schreibt, ihn abgibt und er ist fertig. Es sind irrsinnig lange und intensive Lektoratsprozesse, auch bei den großen Publikumsverlagen. Das Bild, das generiert wird, von der Einzelperson, die genial, allein daheim sitzt und vor sich hinschreibt, das entspricht in keinster Form der Realität. Es sind immer mehrere Menschen an einem guten, gelungenen Text beschäftigt und das ist auch ein ganz prinzipieller Ansatz von PS: Zu zeigen, dass ein Text in Zusammenarbeit, im Austausch und von einer bestimmten Haltung aus entsteht.
WeiberDiwan: Der Titel der aktuellen, fünften Ausgabe von PS ist „Total Eclipse of our Hearts“ – was hat es damit auf sich?
Jiapsa: Wir wollten eine Ausgabe über das Gelingende machen, und im weiteren Sinne war das Thema dann ‚Schlaraffenland‘. Nach der Releasefeier der letzten Ausgabe kam als Idee für den Titel der nächsten Ausgabe dann: Purer Pathos! (der ja im Literaturbetrieb oft sehr verpöhnt ist). Das Lied, das Pathos pur ist, und diesen sofort ausdrückt, ist „Total Eclipse of the Heart“. Das wurde dann gleich aufgedreht und in der Küche geschmettert. Es gab zwei, drei Versuche, diesen Titel zu kippen, aber alle blieben erfolglos – zum Glück!
WeiberDiwan: Außerdem hattet ihr einen Lyrik-Schwerpunkt in der aktuellen Ausgabe. Wieso das?
Eva: Ein Großteil unserer Redaktion schreibt selbst Prosa. Es gab Interesse daran, wie Lektorat mit Lyrik funtioniert. Wir wollten diese Ausgabe für ein neues Genre öffnen und dabei selbst etwa Neues ausprobieren. Und wir wollten uns ein wenig vom Arbeitsaufwand zurücknehmen: ein bisschen weniger Lektoratsarbeit, weil etwas kürzere Texte.
Jiaspa: Es sollte eine sehr lustvolle Ausgabe werden.
WeiberDiwan: Wie finanziert ihr euer Projekt?
Eva: Wir machen einmal im Jahr Crowdfunding, mit Video und Spendenaufruf – das hat bisher immer geklappt. Letztes Jahr haben wir auch einen Druckkostenzuschuss von der Stadt Wien bekommen. Vom Verkauf der Hefte leben wir nicht, bzw. dürfen wir als Verein in Deutschlad sowieso nur Spenden für die Hefte einnehmen.
Jiaspa: Es sind übrigens alle Texte auch online kostenlos abrufbar – das war uns von Anfang an ganz wichtig.
WeiberDiwan: Auf eurer Website findet sich zur Zeit auch ein Covid 19-Dossier, was kann man sich darunter vorstellen?
Jiaspa: Das ist eine Sammlung von Links, Texten und Projekten, an denen wir uns beteiligen.
Politisch schreiben heißt, sich zum aktuellen Geschehen zu verhalten. Covid 19 hat natürlich Auswirkungen auf den Kulturbetrieb, insofern auch direkt auf uns, als Autor*innen und Politisch Schreibende.
Wir haben uns die Aufgabe gestellt, den Blick von dem, was sowieso schon im Blick ist, auch wieder dorthin zu lenken, was an den „Rändern“ der Gesellschaft bzw. des Literaturbetriebs passiert. Wir wollen unser Medium nutzen, darauf hinzuweisen, was uns wichtig erscheint, Inhalte, die eventuell sonst untergehen. Die EU-Außengrenzen zum Beispiel. Oder: Bevor Sars-Cov die Medien so sehr dominiert hat, gab es einen rassistischen Anschlag in Hanau. Da gab es den Anfang einer Debatte um Rassismus, die dann aber abgeebbt ist.
Natürlich haben wir als PS auch einen sehr scharfen Blick auf sexistische Entwicklungen.
Eva: Wir wollen also nicht nur auf kunst- oder literaturspezifische Probleme hinweisen, sondern einen größeren Kontext beleuchten.
WeiberDiwan: Ihr schreibt selbst und steht in engem Austausch mit anderen Autor_innen – wie haben sich die Schreibbedingungen durch Cov 19 verändert?
Eva: Manche können sich sehr gut zurückziehen in die eigene Schreibarbeit, bei manchen funktioniert das Schreiben überhaupt nicht, weil zu viele andere Dinge laufen, einerseits im Kopf und andrerseits auch von den Rahmenbedingungen her. Ich habe Kolleginnen, die haben Kinder und Lohnarbeit im Homeoffice – da bleibt nicht viel Zeit zu Schreiben, und das gilt sowohl für Literatur- als auch Wissenschaftsschreibende. Diese Doppelbelastung betrifft vorwiegend Frauen*.
Jiaspa: Dazu kommen noch Existenzängste. Dadurch, dass viele Veranstaltungen abgesagt wurden, fällt auch die Haupteinnahmensquelle von Schreibenden weg, nämlich die Lesungshonorare. Die wenigsten können vom Buchverkauf leben. Das heißt dann für manche, noch mehr um die eigene Existenz schreiben zu müssen – und da stellt sich dann die Frage, ob sich das überhaupt ausgeht.
WeiberDiwan: Habt ihr trotz der aktuellen Entwicklungen eine weitere Ausgabe geplant?
Eva: Ja! Sie wird wieder im Oktober erscheinen. Thema für diese Ausgabe ist das Prosadebut. In den letzten zehn Jahren gab es einen Hype um sogenannte Debutromane, dabei ist oft viel Geld im Spiel – es gibt Vorschüsse, Manuskripte werden versteigert, das läuft wie eine Börse, ein knallharter Spekulationsmarkt. Wir wollen uns dem Thema von verschiedenen Seiten nähern. Zum Beispiel haben wir eine groß angelegte Umfrage im deutschsprachigen Raum geplant, wo wir sowohl Autor_innen als auch Verlage befragen wollen.
WeiberDiwan: Was wünscht ihr euch für die Zukunft eurer Zeitschrift?
Jiaspa: Ich würde mich gerne beamen können, um jede Redaktionssitzung face to face abhalten zu können. Dann würd ich mir wünschen, dass PS in einem sinnvolleren Wirtschaftssystrem erscheinen könnte, also dass es keinen Kapitalismus mehr gibt, wir uns nicht um Druckkosten Sorgen machen müssen, sondern uns um schönere und viel interessantere Sachen Gedanken machen können.
Eva: Ein solidarisches Literaturnetzwerk, unabhängig von ökonomischen Begrenzungen.
Rebecca: Vielen Dank euch beiden für das Gespräch – wir sind bereits gespannt auf eure nächste Ausgabe!
Jiaspa ist Gründungsmitglied von PS, lohnarbeitet, macht politische Sachen und schreibt. |
Eva Schörkhuber ist seit Herbst 2018 bei PS, arbeitet selbstständig als Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin und verdient Geld mit diesen und jenen Nebenjobs |