Soziale Struktur und Solidarität im KZ
Lotte Dorowin-Zeissl wurde 1943 bei einer von der Gestapo durchgeführten Razzia in der Universität Straßburg angehalten und als Geisel verhaftet. Ihr Weg führte durch verschiedene Gefängnisse in Frankreich und schließlich ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, wo sie bis zur Befreiung 1945 interniert war. Der schmale Band versammelt Aufzeichnungen Lotte Dorowin-Zeissls und Ausschnitte aus Interviews, in denen sie ihre Erlebnisse vom Tag ihrer Festnahme bis zur Heimkehr nach Wien schildert. Die tiefgläubige Katholikin erzählt von der unvorstellbaren Grausamkeit des Lagersystems, von Einsamkeit und Zerrissenheit, aber auch von Freundschaft und Zusammenhalt unter den Häftlingen im täglichen Kampf um das Überleben. Besonders bemerkenswert sind die Schilderungen der sozialen Struktur des KZ Ravensbrück: Mit analytischem Blick beschreibt die ehemalige KZ-Insassin die Organisation des Lagerbetriebs im Alltag, wie die Aufteilung in verschiedene Arbeitsblöcke vonstatten ging, mit welchen inneren Konflikten die Gefangenen konfrontiert waren, die sich in einer verhältnismäßig besseren Lage befanden als ihre Mithäftlinge, und wie sie in ihrer ausweglosen Situation Möglichkeiten fanden, jenen Frauen zu helfen, denen es noch schlechter ging. Der Bericht ist ein ebenso erschütterndes Zeitdokument wie beeindruckendes Zeugnis von Freundinnenschaft und (weiblicher) Solidarität in einer sehr dunklen Zeit. Leider etwas unsorgfältig sind die vom Herausgeber hinzugefügten Fußnoten zur historischen Kontextualisierung, da zum Teil nur das Internet als Quelle angegeben wird.
Rebecca Strobl
Lotte Dorowin-Zeissl: Zeit der Prüfungen. Acht Monate im KZ Ravensbrück. Hg. von Gerald Stourzh. 103 Seiten, Mandelbaum, Wien 2019 EUR 20,00