Sprechverbot für Frauen
Vieles in Christina Dalchers Debütroman erinnert in unheimlicher Weise an die aktuellen politischen Entwicklungen in den USA und vielen weiteren Staaten: weiße, fundamentalistisch-religiöse, homophobe Rechtspopulisten sind an der Macht und haben die Gesellschaft blitzartig umgebaut. In dieser dürfen weibliche Menschen nur 100 Wörter am Tag sprechen, nicht arbeiten, lesen, schreiben, fernsehen, keine Briefmarken kaufen und haben weder Pass noch Handy oder Bankkonto. Hauptprotagonistin Dr. Jean McClellan ist Linguistin und stand knapp vor der Entwicklung eines Heilmittels gegen Wernicke-Aphasie, als sie sich im neuen System als zornig schweigende Hausfrau und Vollzeit-Mutter wiederfindet. Ihre Reflexionsfolie ist ihre ehemalige Mitbewohnerin Jackie Juarez, eine lesbische Feministin, die vor dieser Entwicklung stets gewarnt und vergeblich versucht hat, Jean zu politisieren. Der Plot ist als Krimi angelegt, in dem es um nichts weniger als den Systemsturz geht. Ein adonishafter Liebhaber, Straflager, brutale Versuchstiere, Erpressung, innerfamiliärer Machttausch und viele Gefahren geben der Geschichte eine gewisse Spannung. Distanzierungsversuche zum Buch werden abgeschmettert mit Passagen, dass sich dies auch in der Fiktion vor ein paar Jahren niemand hätte vorstellen können, die wiedererkennbare Nähe dieser Dystopie zu heutigen politischen Verfasstheiten lässt gruseln, was allerdings die seichte Grundstruktur und die uninspirierende Sprache leider nicht wirklich wettmacht.
Meike Lauggas
Christina Dalcher: Vox. Aus dem amerik. Engl. von Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol. 397 Seiten, S. Fischer, Frankfurt/M. 2018 EUR 20,60