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Die aufstrebende Londoner Anwältin Tessa Ensler kommt aus der Arbeiterklasse und ist daher in beruflichen Kreisen eher eine Außenseiterin. Als Verteidigerin wird sie für ihre souverän geführten Kreuzverhöre der Opfer in beruflichen Kreisen geschätzt. Als sie eines Tages selbst Opfer einer Vergewaltigung wird, erstattet sie Anzeige. Ihr wird bewusst, dass die gesetzlichen Regeln in einer patriarchalen Welt im Zweifelsfall für den männlichen Angeklagten sprechen, insbesondere wenn dieser aus der Oberschicht kommt.

Die australische Autorin Suzie Miller, die selbst als Strafverteidigerin Erfahrungswerte über Missbrauchsopfer sammeln konnte, zeichnet in ihrem Debüt präzise nach, wie Strafrechtsprozesse im anglikanischen Recht verlaufen. Es werden die Tricks der Verteidiger:innen nachvollziehbar, wie sie Zeug:innen als Opfer einvernehmen, um diese gegenüber der Jury unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Standesdünkel werden deutlich, so dass klar wird, dass das Recht nicht bedingungslos für mehr Gerechtigkeit sorgt. Die Beweislastumkehr zu Gunsten der Täter oder auf Kosten der Opfer ist haarsträubend. Der Roman ist als Monolog in einer temporeichen Sprache mit Rückblenden verfasst, so dass ein stimmiges Bild über die selbstbewusste Ich-Erzählerin entsteht. Ohne Solidarität im eigenen sozialen Umfeld sähe die Welt für sie als Opfer schlechter aus, allerdings verfügen auch die Täter über ihre sozialen Netzwerke der Affirmation. Spannend, kurzweilig!

ML

Suzie Miller: Prima Facie. Aus dem austral. Engl. von Katharina Martl. 350 Seiten, Kjona Verlag, München 2024 EUR 25,70