Verbotener Schmerz

Die Folgen des Klimawandels haben ein System von abgeschotteten Siedlungen hervorgebracht. Die Grenze ist der einzige Ort, an dem die Anwendung von Gewalt noch nicht abgeschafft wurde, und abgesehen von einigen Lastwägen, die den Warenaustausch organisieren, gibt es keine Berührungspunkte zwischen den Siedlungen. Auch die Protagonistin, die die Lücken füllt, die verschwundene oder verstorbene Frauen bei Männern hinterlassen haben, trägt zum Schein des Friedens bei. Sie verdient ihren Lebensunterhalt damit, in die Rolle dieser Frauen zu schlüpfen. Eine Fähigkeit, die sie über die Jahre professionalisiert hat. Doch in ihrer neuen Rolle gerät sie immer tiefer in den Strudel einer toxischen Beziehung. Dabei verliert sie nicht nur sich selbst, auch ihre eigenen Grenzen verschwimmen zunehmend mit denen der fremden Frau. In einer Welt, in der Gewalt verboten ist, scheint der Schmerz im Unsichtbaren umso stärker zu wuchern. Amira Ben Saouds Debütroman entwirft ein Szenario, das manchmal etwas gewollt wirkt. Zugleich schafft es eine besondere Beklemmung, die die Beziehungen, auch zu sich selbst, besonders unbarmherzig erscheinen lassen.
Agnes Sieben
Amira Ben Saoud: Schweben. 188 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2025 EUR 23,70