Verflechtungen

Am Ende angekommen, wollte ich den Roman von Birgit Müller-Wieland gleich nochmals lesen, denn so viel hat sich im Laufe der Seiten aufgetan, dass ich die Protagonist*innen anhand dieses Wissens neuerlich erleben wollte. In sechs Geschichten, wovon zwei sehr lange Briefe sind, ist von Liebe und Freund*innenschaften, vom Schock des Verlassen-Werdens, Kinder-(Nicht-)Wunsch, eigener Herkunft, DDR und Deutschland, beruflichen Abhängigkeiten und sexualisierten Übergriffen die Rede. Wendungen im Leben verbinden die spannenden Geschichten miteinander, Referenzen v.a. auf Irmtraud Morgners Werk ziehen sich durch und Figuren einer Geschichte tauchen überraschend in einer anderen wieder auf – mal am Rande, mal ganz zentral. Damit werden die sechs in sich abgeschlossenen Teile zum Roman, da sich die Komplexität aufschichtet, Zusammenhänge langsam sichtbar werden, Perspektiven sich erweitern. Es ist immer der erste Satz, der gleich hineinzieht, alles Kommende in sich birgt – ein Stilmittel, das auch zwischen zwei Liebenden zum verbindenden Thema wird. Auch hier setzt Müller-Wieland wieder die doppelte Strukur von Textkomposition und ihrem Inhalt ein, reflektiert schreibend das Schreiben, mit Geschichten die Geschichte. Ihr flüssiger Stil lässt gefesselt dranbleiben und setzt packende Akzente. Und nach den 50-80 Seiten langen, ineinander verflochtenen Geschichten folgen ein Schlussakkord und ein kurzer Nachhall, der tatsächlich einen kleinen Knalleffekt beinhaltet, der das feministische Herz freudig höher schlagen lässt. Eine Empfehlung!

Meike Lauggas

Birgit Müller-Wieland: Vom Lügen und vom Träumen. Roman in sechs Geschichten. 291 Seiten, Otto Müller Verlag, Salzburg/Wien 2021 EUR 22,00