Vielseitige Lebenswellen

Nordamerikanische Zeitgeschichte lässt sich an Lebensgeschichten einprägsam nachvollziehen. Die Autorin schreibt über zahlreiche weiße und afroamerikanische Menschen in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts und begleitet sie bis 2010, dabei geht sie weder chronologisch noch stilistisch gleichförmig vor, sondern mischt immer wieder die Perspektive und die Textform. Ihre Figuren sind aus verschiedenen Klassen und kulturellen Milieus und ihre Wege kreuzen sich beruflich, freundschaftlich oder familiär. Der erzählerische Blick der Autorin versucht, nüchtern die Schwächen und Stärken der Menschen einzufangen, um authentisch ihren Alltag, ihr Leben zu spiegeln. Die Ängste, Irritationen, Kränkungen und Sehnsüchte der Figuren werden dabei transparent, ähnlich wie ihre Boshaftigkeit, Unverschämtheit und Gemeinheit. Unterstützt werden die beschriebenen Protagonist*innen von Fotografien, die dem Inhalt einen dokumentarischen Charakter verleihen. Die Frauenfiguren überzeugen dadurch, dass sie sich selbstbewusst, emanzipiert in ihrem sozialen Feld bewegen. Sie verstehen es, in einer finsteren Welt innere Stärke zu beweisen und zu bewahren. Die gezeichneten männlichen Akteure leiden an den Eckpfeilern der Zeit und ihrer eigenen patriarchalen Ungeschliffenheit und Überheblichkeit: Vietnamkrieg, Rassismus gegenüber African Americans, Alltagsbrutalität, Gefühlskälte ….. . Faszinierend wie Regina Porter die biografischen Fäden vor sich hinspinnt und wieder zusammenführt. Grandios!

ML

Regina Porter: Die Reisenden. Aus dem Engl. von Tanja Handels. 380 Seiten, S. Fischer, Frankfurt/M. 2020, EUR 22,80