Von Brustreißern und menstruierenden Knien
Anhand von Mythen, Legenden und Sprichwörtern aus aller Welt führt Mineke Schipper in großen Schritten durch die Menschheitsgeschichte zum „Ursprung der Geschlechterungleichheit“. Ausgehend von den ältesten Schöpfungsmythen, in denen Fruchtbarkeitsgöttinnen die Hauptrolle spielen, beschreibt sie eine langsame Machtübernahme von männlichen Schöpfergöttern, die, unter anderem durch sehr skurrile Selbstbefruchtungsmethoden, Welten gebären, bis hin zur Idee der Schöpfung als geistigem Akt eines allmächtigen Gottvaters. Durch die damit einhergehende Verbannung des weiblichen Körpers aus dem Götterpantheon und dessen Abwertung, zieht Schipper Schlüsse auf unsere heutigen patriarchalen Gesellschaftsstrukturen und deren Auswüchse, von geschlechtsselektiver Abtreibung bis hin zu Genitalverstümmelung. Allein der Kreativität wegen, die der schier endlosen Flut an mythologischen Beispielen innewohnt, muss man schon staunen. Von Lachanfällen, Wutausbrüchen bis hin zu Ermächtigungs- und Ohnmachtsgefühlen, bleibt einem nichts erspart. Diese Geschichten „hängen wie ein Klotz an der Gegenwart“ und ihre Aufarbeitung aus weiblicher Perspektive ist unerlässlich. In diesem sehr dichten Buch werden allerdings viele Fässer aufgemacht und manches gar zu schnell gestreift oder ganz ausgespart, was bei dem Mammutprojekt, eine „neue Kulturgeschichte des Feminismus“ zu liefern, wie der Klappentext verspricht, wahrscheinlich kaum zu vermeiden ist.
Mima Schwahn
Mineke Schipper: Mythos Geschlecht. Eine Weltgeschichte weiblicher Macht und Ohnmacht. Aus dem Niederländ. von Bärbel Jänicke. 351 Seiten, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2020 EUR 24,70