Von den Grenzen zwischen Himmel und Erde
Manche Publikationen strahlen schon von Außen eine gewisse Wärme aus. Beim ersten Lyrikband der in Wien lebenden Philologin und Übersetzerin Seda Tunç ist dies der Fall: Von der Salzburger edition mosaik im Kleinformat veröffentlicht, erscheint das in einfachen Karton gebundene Büchlein wie in liebevoller Handarbeit gefertigt. Ergänzt wird das Cover mit einem schwarz-weiß Aufdruck, der eine Frau zeigt, die zwischen Wildtieren liegt – allesamt schlafend. Das Gemälde der türkischen Künstlerin Necla Rüzgar (im Original in Farbe) illustriert die Sprache der Gedichte im Inneren: Ruhig und stark, dabei von einer gefahrvollen Welt umgeben, aus der jedoch auch Kraft entströmt. Mit dem titelgebenden Gedicht bereitet sich Seda Tunç den Boden („jetzt kann ich beginnen:“) für die darauffolgenden Zeilen: Knapp formulierte Bilder, in denen Themen wie Sprache, Tod, Liebe, Familie, Schwangerschaft, Träume und Erinnerungen behandelt werden. Die beschriebenen Orte, vom Garten in Wien Meidling nach Dersim am Schwarzen Meer, sind zwar geografisch weit entfernt, liegen aber doch unter demselben Himmel, vereint im Gedächtnis der Schreibenden. Durch Schatten, Flecken und Gerüche heraufbeschworen, entsinnt sich die Lyrikerin vergangener Tage, klingt manchmal etwas verwundert über die Möglichkeit(en) der Sprache und oszilliert bei den Formulierungen zwischen Andeutung und expliziter Benennung. Ein Buch zum langsamen und wiederholten Lesen, so sich die Botschaften erst nach und nach entschlüsseln.
ReSt
Seda Tunç: welch. 57 Seiten. edition mosaik, Salzburg 2021 EUR 10,00