Weite Aussichten
„Ohne Leid keine Frau, ohne Leid keine Schriftstellerin. Eine Schriftstellerin aber beschreibt selbstverständlich keine universelle Erfahrung, das ist den Schriftstellern vorbehalten“. Antonia Baum rechnet in ihrem Beitrag „Das Problem ist das Problem“ mit jener beschränkten Aussicht ab, die Frauen, die sich ans Schreiben machen, immer noch nahelegt wird: Physisch und psychisch angeschlagen, beschäftigen sich Schriftstellerinnen mit ihrem spezifisch weiblichen Leid, das als konstitutiv für ihr Geschlecht und nicht als Konsequenz von Erfahrungen, mit denen sich als weiblich markierte Menschen herumschlagen müssen, betrachtet wird. Antonia Baums Text ist einer der wenigen Originalbeiträge in dem von Ilka Piepgras herausgegebenen Band „Schreibtisch mit Aussicht“. 23 Autorinnen aus Europa und den USA legen ihre Zugänge zum Schreiben dar und erzählen, welche Umwege sie in Kauf nehmen müssen, um Zeit am Schreibtisch verbringen zu können. Die Perspektiven auf die eigene Schreibarbeit sind vielfältig und widersprechen dem von Baum problematisierten Klischee sowohl explizit, also in direkter Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Zuschreibungen, als auch implizit, indem sie zeigen, dass sich Schreibverfahren weit über diese hinwegsetzen. Schade ist nur, dass in diesem schönen Band keine Autorinnen vorkommen, die sich ausschließlich anderen Formen widmen als der am Literaturmarkt ohnehin so hochgehaltenen Langprosa.
Eva Schörkhuber
Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben. Hg. von Ilka Piepgras. 288 Seiten, Kein & Aber, Zürich/Berlin, 2020 EUR 23,70