„Wir müssen endlich raus aus dem Land“
Ein vielschichtiges Stimmungsbild des heutigen Russlands liefert Darja Serenko, eine 1993 geborene russische Schriftstellerin und politische Aktivistin. In einer Vielzahl kürzerer und längerer Episoden erzählt sie von ihrer Arbeit 2021 in einer staatlichen Kultureinrichtung, von ihrem Gefängnisaufenthalt im Jahre 2022 und von den vielen Opfern der Gewalt in Russland und in anderen totalitären Systemen. Wegen eines Internet-Posts wurde sie zu zwei Wochen Haftstrafe verurteilt. Die Schilderung dieses Gefängnisaufenthaltes ist bedrückend und absurd, mitunter sogar komisch (als einziges Buch das selbstverfasste in der Zelle zu haben: „Was habe ich mich damit gelangweilt. Ich wusste es auswendig.“). An den Hofwänden entziffert sie die Inschriften früherer Häftlinge: „Tim Beszwet – 10 Tage für Aktion mit Pride-Flaggen”, „Putin das Arschloch“, „Nastja Resjuk – 10 Tage für Einzelprotest“) lässt die Autorin vor Erleichterung weinen: „Ich bin nicht allein.“ Das Buch macht einen atemlosen, gehetzten Eindruck. Prosa wechselt mit Lyrik, die vereinzelten Textbruchstücke spiegeln, die durch Gewalt fragmentierte, verstörte, verzweifelte Psyche der Autorin auf eindrückliche Weise. Panik, Hysterie und Gewalt prägen Russland. Die Autorin lebt heute in Georgien.
Sabine Reifenauer
Darja Serenko: Mädchen & Institutionen. Geschichten aus dem Totalitarismus. Aus dem Russ. von Chrisitiane Körner. 191 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2023 EUR 24,50