Zarte Risse
In Notfallkontakte versammelt Esther Becker kurze, poetische Erzählungen, die in dichten Bildern und Montagen von Verletzlichkeit, Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit und Erschöpfung erzählen. Ihre Texte bündeln Bruchstücke menschlicher Erfahrung und verdichten sie zu präzisen Miniaturen. Becker schreibt poetisch und zugleich mit trockenem Blick für das, was nicht gesagt wird – für die Risse, die im Alltag und im Funktionieren entstehen. In „Der Prozess“ wird die Gerichtsverhandlung um Giséle Pelicot aus der Perspektive einer Gerichtszeichnerin geschildert, die den Ekel kaum erträgt und schließlich körperlich reagiert. „Luftraum“ zeigt, wie sich Schönheitszwang und Klassenverachtung über Generationen fortschreiben und wie auch in privilegierten Räumen Einsamkeit wächst: ein Mädchen, das scheinbar alles hat, aber dem Druck nicht entkommt – und ihn weitergibt. Beckers Texte sind feministisch und von empathischem Blick getragen. Sie reißen etwas auf, ohne es zu schließen, und verhandeln Verletzlichkeit. Ich hatte beim Lesen manchmal Tränen in den Augen, ohne genau zu wissen warum – ein melancholisches und dennoch immer wieder humorvolles Buch. Klare Leseempfehlung!
Laura S.
Esther Becker: Notfallkontakte. 106 Seiten, Verbrecher Verlag, Berlin 2025 EUR 21,50
