Zwischen Feuer und Eis
Nicht wirklich eine Kriminalgeschichte, aber eigentlich doch: rund um das Verschwinden zweier russischer Mädchen im entlegenen Petropawlowsk, Hauptstadt von Kamtschatka, entfaltet sich der Roman der amerikanischen Autorin Julia Phillips. Zentral sind dabei Frauenfiguren mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, von Lehrerin über Ärztin, Vulkanologin bis Schülerin und Studentin, deren spezifische Situationen im jeweiligen Kapitel sehr anschaulich dargestellt werden. Nach und nach fügen sich die unterschiedlichen Erzählstränge mit immer neuen Personen zusammen. Gesellschaftliche Schieflagen und politische Veränderungen werden etwa an der Frage nach Repräsentation der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen der UreinwohnerInnen in den Blick gerückt. Die Autorin zeichnet die Protagonistinnen als selbstbestimmte Frauen, deren Beziehungen und FreundInnenschaften zentrale Komponenten des Buchs darstellen. Bei aller Political Correctness und feministischer Perspektive drängen sich dennoch einige Fragen auf: 1) Warum ausgerechnet eine amerikanische Schriftstellerin uns Kamtschatka, die Halbinsel aus Feuer und Eis näherbringt und dabei einen Bestseller landet, 2) weshalb der Umgang mit Rassismus, eine zentrale und identitätsstiftende Problematik der USA, auf die sibirische Halbinsel verlegt wird und 3) ob die Darstellung des Alltags in jener Gegend nicht allzusehr durch die Linse der US-Bürgerin gesehen wird – selbst wenn sie die Sprache beherrscht und einige Zeit dort verbracht hat.
Susa
Julia Phillips: Das Verschwinden der Erde. Aus dem amerik. Engl. von Roberto de Hollanda und pociao. 376 Seiten, dtv, München 2021, EUR 22,70