Brutalismus aus Bulgarien
Noch immer haben die allermeisten Menschen den Sichtbeton nicht lieben gelernt, auch wenn die Architekturströmung des „Brutalismus“ in jüngster Zeit wiederentdeckt wurde. Dabei lohnt ein zweiter Blick allemal … Zum Beispiel auf das Lebenswerk der bulgarischen Architektin Stefka Georgieva (1923–2004), der im Sommer 2019 eine Ausstellung im Wiener Ringturm gewidmet war. Im begleitenden Katalog wird neben Georgievas Werk auch ihre Berufsbiografie kritisch beleuchtet, die durch eine rund 40-jährige Tätigkeit in staatlichen Großplanungsbüros geprägt ist. Der Katalogteil dokumentiert Georgievas umfangreiches architektonisches Schaffen, das zur Modernisierung Bulgariens beitrug. Die Bandbreite reicht vom Wochenendhaus bis zur repräsentativen Regierungsresidenz. Es entsteht das Bild einer passionierten Gestalterin, die ihre Projekte bis in die Details hinein konsequent umsetzte. Dass es der „Unbeugsamen“ (Aneta Vasileva) gelang, als Staatsarchitektin ihre eigene Handschrift in einem hochgradig politisch gelenkten und zentralisierten Bau- und Planungswesen zu bewahren, erscheint besonders bemerkenswert. Hier gibt es ein architektonisches Werk von internationalem Rang zu entdecken, das in unseren Breiten zu Unrecht kaum bekannt ist. Von berückender Eleganz sind vor allem Georgievas brutalistische (der ehrlichen Konstruktion verpflichtete) Bauten, etwa eine Tennishalle in Sofia (1968) oder der Hotelkomplex Fregata im Badeort Sonnenstrand am Schwarzen Meer (1972).
Sonja Hnilica
Stefka Georgieva 1923–2004. Architektin im Staatlichen Planungswesen in Bulgarien. Hg. von Aneta Bulant-Kamenova und Adolph Stiller. 192 Seiten (deutsch und englisch), Müry Salzmann, Wien – Salzburg 2019 EUR 28,00