Alles gut
Wer sich gerne mit den verschiedensten Blickwinkeln auf die ostdeutsche Geschichte inklusive Weltkrieg, Wendezeit und Neuanfang auseinandersetzt, ist in Helga Schuberts Jahrhunderterzählung bestens aufgehoben. Die Psychotherapeutin und freie Schriftstellerin erhielt für diese Erzählung als Achtzigjährige 2020 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Das ist eine kleine Wiedergutmachung, denn 1980 durfte sie wegen des Ausreiseverbots in westliche Staaten nicht zur Bachmannlesung antreten. In schlichten, unaufgeregten Sätzen erfahren wir sehr viel über das aus ihrer Perspektive grauenvolle Leben in der DDR, über ihre hartherzige Mutter, die sie nicht lieben kann. Erleichterung bringt ihr die Pastorin, die ihr erklärt: „Gott verlangt nicht, dass wir unsere Eltern lieben. Wir brauchen sie nur zu ehren.“ (p.206). Ihre Sichtweise zur DDR beeindruckt „Oben an der Säule war ein Schild angebracht: Platz vor dem Brandenburger Tor. Für mich war es achtundzwanzig Jahre lang der Platz hinter dem Brandenburger Tor.“ (p.38).
Alles in allem ist diese Lebensreise der Autorin über komplizierte Gefühle, Verwandtschaften, Freiheit und Unfreiheit, Altwerden, eine sehr spannende, die Verständnis für die „Welt der Menschen“ sucht. „Nichts ist klar so oder so, erfahre ich beim Schreiben oder spätestens beim Lesen.“ (p.129)
Dorothea Schaffernicht
Helga Schubert: Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten. 219 Seiten, dtv, München 2021, EUR 22,70