Wendekreis der Gewalt
Ein Slum an einer EU-Außengrenze, die hier nur äußerst selten in der Kritik am und in Protesten gegen das Grenzregime ins Blickfeld rückt. Die Komoreninselgruppe Mayotte im Indischen Ozean wurde nach einer Abstimmung im Jahr 2008 zum 101. französischen Überseedepartement und ist seit 2014 ein Gebiet äußerster Randlage der EU. Gaza nennen die Bewohnerinnen ein Viertel der Hauptstadt Mamoudzou. Hier leben vornehmlich Migrantinnen ohne Papiere, die sich von den benachbarten Inseln der unabhängigen Komoren illegal in Booten über das Meer setzen. Die mauritisch-französische Schriftstellerin und Journalistin Nathacha Appanah, die selbst wiederholt in Mayotte gelebt hat, schildert die erbarmungslosen Bedingungen von Gaza. Ein Kind mit einem grünen und einem schwarzen Auge, von seiner Mutter aus Angst vor böser Magie verstoßen, wird von einer französischen Krankenschwester aufgenommen und wächst in behüteten Verhältnissen auf. Nach dem plötzlichen Tod seiner Adoptivmutter findet sich der Junge in einer mafiösen Jugendbande wieder und kämpft verzweifelt um sein Leben. Die mehrfach preisgekrönte Autorin lässt unterschiedlichste Erzählerinnen zu Wort kommen: Mahorerinnen, illegalisierte Einwanderinnen, Französinnen, Männer, Frauen… So untersucht sie einerseits die brutalen postkolonialen Machtverhältnisse und schafft andrerseits genügend Distanz, um eine schreckliche Geschichte spannend und lesbar zu machen. Äußerst fesselnd!
Sena Doğan
Nathacha Appanah: Das grüne Auge. Aus dem Franz. von Yla M. von Dach. 211 Seiten, Lenos, Basel 2021 EUR 22,70