Neurodivers oder neurotypisch?
Die Kulturjournalistin Clara Törnvall beschreibt, wie sie eine enorme Erleichterung erfahren hat, als sie nach verschiedensten Anläufen endlich die offizielle Diagnose erhält, dass sie Autistin sei. Autismus ist eine genetische Entwicklung, die nicht medikamentös oder durch Therapien behoben werden kann, sondern darauf hinweist, dass das jeweilige Gehirn anders aufgebaut ist und daher anders funktioniert. Insbesondere bei weiblichen Personen sei es historisch immer wieder zu Fehldiagnosen gekommen, da die Tests darauf konzentriert waren, klischeehafte Beispiele heranzuziehen, die eher männlichem Denken entsprechen. Vor ca. dreißig Jahren änderte sich der wissenschaftliche Diskurs, es ist mittlerweile anerkannt, dass Mädchen, obwohl sie sich im Alltag weniger auffällig bewegen, quantitativ ähnlich stark wie Jungen betroffen sind. Dennoch für beide gilt, dass die soziale Anpassungsfähigkeit der Autist:innen massiv eingeschränkt und anstrengend ist. Eine Stärke der Autist:innen ist, dass sie bei komplexen Problemen über eine höhere Lösungskompetenz als neurotypische Menschen verfügen. Mittels zahlreicher Beispiele auf der Basis von Interviews, die die Autorin mit Autist:innen führte, sowie vermittels ihrer Detailrecherchen zu Biografien Prominenter schafft sie ein stimmiges Bild für mehr Verständnis. Humorvoll wird ihr Beitrag, wenn es um die Sicht neurodiverser Menschen gegenüber neurotypischen Menschen geht. Die neurotypische Lesende konstatiert am Ende, das Autismusspektrum ist breit gestrickt und Sensibilität im Umgang mit Betroffenen ist wesentlich.
Antonia Laudon
Clara Törnvall: Die Autistinnen. Aus dem Schwed. von Hanna Granz. 238 Seiten, Hanser Berlin, Berlin 2024 EUR 24,70