Das Labyrinth

Einen nicht beachteten Blickwinkel auf Algerien öffnet die Autorin Yasmina Liassine, die als Mathematikerin in Frankreich lebt und Tochter eines algerischen Vaters und einer französischen Mutter ist. Die Beziehung ihrer Eltern begann mitten im algerischen Widerstand gegen das französische Kolonialregime. Die Familie zog mit Enthusiasmus in das neue unabhängige Algerien, das es aufzubauen galt. Die Verbindung ihrer Eltern ist eine der Familiengründungen, die sich deutlich von den Kolonialverhältnissen der Besatzer (Pieds-noirs) abgrenzen. In langsamer Sprache erzählt Yasmina Liassine Geschichten ihrer eigenen Familie und befreundeter Familien, die sich nach dem langen und erbitterten Kampf um die Unabhängigkeit nach Algerien aufmachten. Vornehmlich französische Frauen heirateten algerische Männer, von denen gar nicht so wenige, darunter auch der Vater der Autorin, ihren Kindern nicht Arabisch beibrachten. Sequenzenartig beleuchtet sie den schwierigen Umgang mit den sich ändernden politischen Verhältnissen im unabhängigen Algerien. Die Suche nach einem Platz in der Gesellschaft in einer Zeit, in der Nationalismus hochgehalten und auf Religionszugehörigkeit heruntergebrochen wird. Immer wieder kommen die Haushälterinnen der ehemaligen Kolonialbewohner zu Wort. Sie verloren 1962 ihre Jobs und damit durchaus auch ihre Unterkunft, mussten sich durchschlagen, bis sie unter den neuen Bedingungen, teilweise in Familien, wieder Arbeit fanden. Die Frage nach dem Platz der Kinder dieser Ehen, wie die Autorin und ihre Geschwister, verknüpft mit der Frage danach, wer eigentlich Algerier*in ist, durchzieht das Buch. Spannende Lektüre nicht nur für Algerien-interessierte Leser*innen.
Sena Doğan
Yasmina Liassine: Utopia Algeria. Aus dem Franz. von Katharina Triebner-Cabald. 144 Seiten, austernbank verlag, München 2025 EUR 20,60