„Das Sterbenmüssen ist eine Gemeinheit“

An den Skandal über Zeemanns Autobiografie Jungfrau und Reptil kann ich mich gut erinnern. In seinem Erscheinungsjahr 1982 sieht sich die österreichische Volksseele noch immer als erstes Opfer Hitlers und kann mit der Wahrheit so ganz und gar nicht umgehen. Und da kommt eine daher und erzählt unter anderem die Wahrheit über Heimito von Doderer, diese heimische Literaturgröße, dessen Verhalten während der NS-Zeit so archetypisch österreichisch war. Zeemanns Verhalten war es nicht, nicht während der NS-Zeit und nicht danach. Anna Baar schreibt, wie sie selbst sagt, keine Biografie, sondern eine Annäherung. Eine Annäherung an eine Frau, die immer hinschaut und das Gesehene ungefiltert wiedergibt. Ihre Sicht auf andere ist liebevoll, verstehend und verzeihend, ihre Sicht auf sich selbst schonungslos. Mit Zitaten aus Zeemanns Werk gelingt es Anna Baar, eine Frau zu porträtieren, die den Chauvinismus des österreichischen Literaturbetriebs klarsieht, ihn teilweise benützt und es schafft, davon größtenteils unberührt zu bleiben. Eine Frau, die diesem Chauvinismus zum Trotz ihre Sexualität auslebt und dabei Erkenntnisse über sich gewinnt, die auszusprechen -leider!- auch heute noch mutig ist. Nur intensiv leben wollte sie, sagt Zeeman in einem Interview, und sollte sie noch einmal zur Welt kommen, würde sie das auch tun. Aber sie hat es doch schon getan! Anna Baars Essay ist eine Annäherung, ihre Erinnerungen und Gedanken fließen ein, sie überschatten aber nie die Hauptfigur. Und sie hat mich neugierig auf Zeemanns Werk gemacht.

Renate Charvat

Anna Baar: Über Dorothea Zeeman. 96 Seiten, Mandelbaum, Wien 2023 EUR 12,00