Das Untier des Textes

Eigene Welten entstehen. Aus Zeichnungen und Buchmalereien erwachsen geflügelte Wesen, drachenköpfige Ungeheuer und verführerische Schlangen. Vom Bestiarium mit klar erkennbaren Fabelwesen bis zur Enzyklopädie wissenschaftlicher Einträge, vom konkreten Gesang des Kuckucks zur sprechenden Ente Donald Duck: Teresa Präauer nimmt die Leserin mit auf eine assoziative Reise in die Welt der Tiere, wobei klar ist, dass „Tiere“ immer von Seiten der Menschen aus gedacht und entworfen sind. In wunderbar fließendem Schreibstil führt sie durch Alltagsszenen und philosophische Betrachtungen, lässt teilhaben an Fragen an die Objektivität der Wissenschaft – immerhin galt das Vogel-Mensch-Mischwesen Harpyje im 17. Jahrhundert als faktisch bewiesene Existenz. Eine weitere Frage richtet sich an eine Auffassung von Forschung, die ihre Aufgabe im Sammeln, Töten und Kategorisieren sieht, „als hätte sich der Wissensdurst mit dem Vernichtungswillen gepaart“. Ebenfalls kaum geglückte Annäherungen an andere Lebewesen, wie etwa bei Safaris in Kenia und Tansania, die mit einem „wilden Leben“ so gar nichts zu tun haben, stellt sie der Möglichkeit gegenüber, den Verwandlungen von Geräuschen, Tönen und Gesängen zu folgen, sich von Ähnlichkeiten und Rätselhaftem inspirieren zu lassen. Über allem schwebt die Frage nach dem vermeintlich Wirklichen: existiert das, was gezeichnet wird, oder wird gezeichnet, was existiert? Wer erzählt was, für wen und warum?
Susa
Teresa Präauer: Tier werden. 100 Seiten, Wallstein, Göttingen 2018 EUR 18,50