Die Freiheit einfordern
Erin ist mit der Schule fertig und möchte sich ihren Traum erfüllen. Sie will nach Alaska reisen, abgeschieden in der Wildnis wohnen und sich etwas beweisen, von dem sie nur ahnt, dass sie dazu fähig ist. Denn über das Leben in der Wildnis gibt es in der Belletristik nur Erzählungen von Männern über Männer. Für einen Mann scheint es natürlich zu sein, im Einklang mit der Natur, abgeschieden von lästigen Familienzwängen, philosophierend und hart arbeitend zu leben, wohingegen weibliche „Abtrünnige“ als sonderbar gelten. Über solche Doppelstandards denkt Erin nach, während sie versucht, die Reise selbstgenügsam und authentisch zu meistern. Auch über die Auswirkungen ihrer Reise – einerseits über ihren ökologischen Fußabdruck, andererseits über ihre Störung der Natur und ihrer Bewohner – wird sie sich bewusst.
Das Buch ist in schöner Sprache verfasst, dennoch leicht zu verstehen und gut zu lesen. Zur Ausführung des Handlungsstranges kommen bedeutsame Anekdoten über Wissenschaftliches – wie z.B. über vergessene weibliche Wissenschaftlerinnen – hinzu, die in den Text verwoben sind und manchmal auch auf die Handlung Einfluss nehmen. Der Weg, den die Protagonistin wählt, besteht darin, sich nicht anzupassen und ihre Freiheit so einzufordern, wie es viele für Mädchen unpassend finden: nämlich nicht zu akzeptieren, dass die Erfahrungen einer jungen Frau durch Bedrohungen einer männlich dominierten Außenwelt eingeschränkt sein könnten. Eine spannende und sehr intelligente Lektüre.
Lilian Karr
Abi Andrews: Wildnis ist ein weibliches Wort. Aus dem Engl. von Mayela Gerhardt. 400 Seiten, Hoffmann und Campe, Hamburg 2018 EUR 22,70