Eine befristete Zeit auf Erden
Das Sterben in völliger Isoliertheit ist in Japan mit steigender Tendenz nicht ungewöhnlich und wird als Kodokushi bezeichnet, besonders Männer sind davon betroffen. Die arbeitslose, vereinsamte Suzo lebt nur mit ihrem Hamster, der sich immer mehr von ihr zurückzieht, zusammen. Sie bewirbt sich bei Herrn Sakai als Putzarbeiterin. Dieser betreibt eine Firma, deren Aufgabe ist, die Hinterlassenschaft in Wohnungen, in denen zuvor ein verstorbener Mensch gefunden wurde, zu reinigen und auszusortieren. Herr Sakai vermittelt seinen Beschäftigten, dass sie einen respektvollen Umgang am Leichenfundort, mit dem vormalig darin lebenden und nun verstorbenen Menschen pflegen. Die Anregungen von Herrn Sakai und die Arbeit in dieser Atmosphäre dient für Suzo dazu, ihr Leben, welches aus ihrer Perspektive ohne Höhen und Tiefen verläuft, anders zu betrachten. Sie wird aufmerksamer gegenüber ihren Nachbarn, dem Ehepaar Fuji, entwickelt Empathie für ihre neue Tätigkeit und für ihren Kollegen Takada. Etwas für einen Toten zu tun, was man ansonsten nur für einen Lebenden tut, klingt bizarr, löst jedoch in Suzo einen emanzipatorischen Prozess aus, sich selbst wahrzunehmen, mehr Verantwortung für sich und ihre Umwelt zu übernehmen. Auch der dritte Roman von Milena Michiko Flašar beeindruckt durch seine sensible Sprache und stellt die philosophischen Kernfragen des Lebens in den Mittelpunkt.
ML
Milena Michiko Flašar: Oben Erde, unten Himmel. 299 Seiten, Wagenbach Verlag, Berlin 2023 EUR 26,80