Eine nüchterne Anklage
Regina Dürig beschreibt in ihrer Novelle, deren Texte wie Gedichte anmuten, emotionale sowie physische Übergriffe, die die Protagonistin erlebt. Diese verteilen sich über ihr Leben, vom toxisch maskulinen Verhalten ihres Vaters in ihrer Kindheit über sexuelle Missbräuche in ihrer Jugend bis hin zu Mansplaining und Belästigungen, die sie als erwachsene Frau erfährt. Dabei wird die Protagonistin nicht auf eine Opferrolle reduziert, vielmehr geht es darum, dass grenzüberschreitende Situationen gegenüber Frauen in einer patriarchalen, sexistischen Gesellschaft strukturell bedingt sind. Dürig zeigt auf, dass es vor diesem Hintergrund und in diesem System oft unmöglich wirkt, Erlebtes laut auszusprechen und frau oft übergriffiges Verhalten klein redet, weil damit häufig Scham verbunden ist. Um dies als kollektive Erfahrung zu verdeutlichen, trägt die Protagonistin keinen Namen und wird als Du bezeichnet. Als Lesender wird frau dadurch in das komplexe Wechselspiel von Scham und Schuld miteinbezogen und kann nachvollziehen, wie allumfassend sexuelle Übergriffe prägen. Dürig gibt mit dieser Protagonistin und ihrer Prosa stellvertretend allen Frauen eine Stimme, denen Ähnliches widerfahren ist. Die lyrischen Texte sind bruchhaft und atemlos, sie stellen das Leben als Frau in unserer heutigen Gesellschaft unerschrocken ehrlich und nüchtern dar und befassen sich gezielt mit den sexistischen Missständen unseres Miteinanders. Eine Novelle über die Notwendigkeit des Sichtbarmachens!
Lilia Holder
Regina Dürig: Federn lassen. 104 Seiten, Droschl, Wien 2021 EUR 19,00