Erinnern und Vergessen in China

Eine Frau wird bewusstlos und stark verwundet aus einem Fluss gefischt und überlebt nur knapp. Sie erinnert sich weder an ihren Namen, noch an ihre Vergangenheit. Als sie Jahre später aufgrund eines Umzugs in eine Art Wachkoma fällt, beginnt ihr Sohn Nachforschungen zur ursprünglichen Herkunft seiner Mutter anzustellen. So kommen nach und nach sorgsam gewahrte Geheimnisse ans Licht, die bis zur Zeit der „Bodenreform“ (teils extrem brutale Enteignung von besitzenden Bauern zw. 1949-52) zurückreichen. Die Mutter hingegen wird in traumartigen Szenen mit ihrer bislang verdrängten Erinnerung konfrontiert. Angesiedelt im heutigen China beschäftigt sich der Roman mit der Geschichte der Volksrepublik und ihrem kollektiven Gedächtnis. Welche historischen Ereignisse werden erzählt, welche verschwiegen? Welchen Einfluss hat individuelles Vergessen bzw. Erinnern auf die kollektive Wahrnehmung von Geschichte? Die Autorin zeichnet ein differenziertes Bild der chinesischen Gesellschaft und jenen Geschehnissen der Vergangenheit, die bis heute von staatlicher Seite gerne unter den Tisch gekehrt werden. Dementsprechend ist der Roman in China heute kaum mehr erhältlich, u.a. weil Neuauflagen verhindert werden. Zum Glück wurde er dem deutschsprachigen Publikum nun in sehr schöner Übersetzung zugänglich gemacht – inklusive erläuternden Anmerkungen sowie einem kontextualisierenden Nachwort. Spannend und insbesondere für Interessierte an chinesischer Geschichte und Kultur zu empfehlen.

ReSt

Fang Fang: Weiches Begräbnis. Aus dem Chin. von Michael Kahn-Ackermann. 441 Seiten, Hoffmann und Campe, Hamburg 2021. EUR 26,90