Es zählt die Gegenwart!
Die bekannte deutsche Autorin Esther Kinsky beweist in ihren philosophischen Gedankenspielen zum Begriff Hoffnung, wie fragil dieser ist. Zunächst reflektiert sie über die Zeit, als sie beim Jewish Refugee Comitee in London mit Recherchen im Auftrag von Angehörigen nach verschwundenen Verwandten beschäftigt ist und zeitgleich ihr Vater im Sterben liegt. In dieser Phase telefoniert sie regelmäßig mit ihrer Schwester, um sich mit ihr über das Befinden ihres herzkranken, hospitalisierten Vaters zu verständigen. Dieser stirbt schließlich und damit auch der letzte Funke Hoffnung betreffend sein Überleben. Sie analysiert anhand literarischer Beispiele von Autor:innen wie Emily Dickenson, Lord Byron und Friedrich Schiller, wie diese das Thema Hoffnung verarbeitet haben. Fazit ist, dass die Hoffnung trügerisch ist, dass sie weniger zum aktiven Handeln auffordert als zur Stagnation verleitet. So lange sie existent ist, ist sie zwar vom Ungewissen geprägt, aber von Zuversicht geleitet. Ein kluges Bändchen, in dem auch Kriege, die Klimakatastrophe und das persönliche Schicksal abgehandelt werden. Deutlich wird, dass es eine Frage des Standpunktes oder der Perspektive ist, welche Hoffnungen mit dem jeweiligen inhaltlichen Zusammenhang verknüpft sind. Solange es die ‚Geschichte‘ gibt, wird es eine Hoffnung auf Veränderung geben, da irgendwer immer mit der bisherigen Entwicklung unglücklich ist. Erst die Gewissheit lehrt uns, wie flüchtig die Hoffnung ist und dass unser Leben auf die Gegenwart ausgerichtet sein sollte, um tatkräftig an der Entwicklung einer besseren Welt mitzuwirken.
ML
Esther Kinsky: Gedankenspiele über die Hoffnung. 48 Seiten, Droschl, Graz/Wien 2023 EUR 12,00