Falschgesichter, Türkise und First Nations

Von der Rettung der Himmelsfrau durch Seevögel und die große Meeresschildkröte bis hin zur reichen Zigarettenschmugglerin in Québec spannt sich der Bogen, den die Kulturwissenschaftlerin Renate Sattler in ihrem Kanadareisebuch nachzeichnet. Aus einem Sommeraufenthalt entstand ein Tagebuch, das dem Image Kanadas zahlreiche Schattierungen hinzufügt. Der Eindruck, der nördliche Nachbar sei der so viel liberalere und geschichtsbewuss­tere Staat als die Vereinigen Staaten gerät ins Wanken. Auch wenn Kanada sich mit seinen First Nations stärker auseinandersetzt, finden sich zahlreiche demokratische Missstände – nicht nur was politische Repräsentation betrifft. Die Autorin gibt Erzählungen über die Lebensverhältnisse von Irokesen und Delaware im Originalton wieder. Sachliche Beschreibungen von Kultureinrichtungen und Zeremonien belebt sie zum Beispiel mit der Erzählung einer Bibliothekarin, bei der sich herausstellt, dass diese selbst 1990 als Aktivistin in der Okakrise verhaftet worden war. Unterstützt von Warriors, die die Rechte von First Nations verteidigen, kämpften damals Mohawk-Angehörige gegen die Errichtung eines Golfplatzes auf Land der Mohawk. Durch die Kombination solcher Tatsachenberichte mit mythischen Erzählungen aus unterschiedlichen Traditionen kanadischer First Nations schafft die Autorin ein ganz eigenes Genre. Der Band wird durch Glossar, Fotos und Darstellung des Demokratiesystems der Mohawk ergänzt.

Susa

Renate Sattler: Kanadischer Sommer. Zu Gast bei Irokesen und Delaware. 160 Seiten, Edition AV, Bodenburg 2018, EUR 16,50