Gedichtagentur

Findet das Leben immer woanders statt, fragt sich die kindliche Chaya, die mit Schwestern, melancholischer Mutter und einem hauptsächlich abwesenden Vater im Teheran der 1970er Jahre aufwächst. Sie lernt Italienisch, träumt von der Auswanderung und einem BH als Symbol erwachsener Weiblichkeit, während sie spitzfindig, voll unfreiwilliger Ironie die Welt der Erwachsenen beobachtet. Eher zufällig fallen ihr die Geschichten aus 1001 Nacht in die Hände, sie ersinnt sich Geschichten und beginnt mit einem Trostgedicht für ihre Mutter ihren literarischen Weg – hier lässt sich für sie das Leben finden. Nachdem sie durch die Revolution plötzlich mit knapp 15 Jahren das Land verlassen und sich mit (Schweizer-) Deutsch eine neue Sprache erarbeitet hat – „Frucht einer rationalen Aktivität, sie hatte nicht wie die Sprache der Mutter meine Zunge mit Milch und Honig in Beschlag genommen“ –, gründet sie eine Gedichtagentur. Hier können Gedichte als Poster gedruckt und mit Exklusivrecht gekauft werden. „Im Helldunkel der sich davonschleichenden Kindheit“ schreibt, liebt, arbeitet und erfährt Chaya, wie ihr ihre Herkunft einem Filter gleich übergestülpt wird, wie diese sie ständig erklären und exotisieren soll. Die Lyrikerin Kathy Zarnegin hat ein Romandebut vorgelegt, das voller ausdrucksstarker Bilder („Ein Lächeln bedeckte wie ein Pilzbefall ihren schmalen Mund…“) und sprachlicher Meisterschaft von einer unangepassten Frau und europäischer Kleingeistigkeit erzählt – eine höchst amüsante, empfehlenswerte Lektüre!
Meike Lauggas
Kathy Zarnegin: Chaya. 221 Seiten, Unionsverlag, Zürich 2019 EUR 13,40