Gemeinsames in 100 Jahren Frauenleben

Drei Wege, drei junge Frauen, drei Zeitmarken in Berlin: Ida arbeitet 1918 als Dienstmädchen in einem bürgerlichen Haushalt und lebt respektiert mit der Frau des Hauses und den drei kleinen Söhnen, bis die Heimkehr des verwundeten Herren des Hauses dies ändert: er schließt sie aus, Nationalismus, Aggression sowie Männlichkeitserziehung ziehen ein. Marlies lebt 1968 in einem Arbeiterhaushalt bei ihren Eltern, berufliche Ambitionen werden mit der Perspektive einer Verheiratung abgeschmettert; sie jobbt, lernt linke Ideen kennen und beginnt ihre Emanzipation von diversen Bevormundungen. Selin treibt 2018 mit ihren Freund*innen durchs Leben, weiß nicht recht, was sie will und wird mit einem Suizidversuch konfrontiert. Mit Bleistiftzeichnungen gibt Julia Zejn Einblicke in diese drei Leben, jede Zeichnung hat ein klares Zentrum und häufig viel Raum, viele Eindrücke bleiben im Bildlichen und ohne Text. Voneinander abgesetzt sind die drei biografischen Momente über hellgelben, hellrosa und hellgrünen Hintergrund, doch wichtiger sind Zejn die Gleichzeitigkeiten: So finden sich auf 2 Doppelseiten thematisch geordnete Bilder mit jeweils einer Protagonistin: Anhand der Medien ihrer Zeit, ihrer Tätigkeiten, ihrer Beziehungen – und alle drei fahren Fahrrad und lesen Bücher. Generationen­übergreifend hat Zejn auch kleine Verbindungen unter den Geschichten hergestellt, was zeitlich weit Entferntes wieder näher rückt. Die Auswahl der Momente, die große Genauigkeit für historische Details und die Zurückgenommenheit der Zeichnungen machen dies zu einem wunderbaren Buch über 100 Jahre Frauen leben.
Meike Lauggas
Julia Zejn: Drei Wege. 184 Seiten, avant-verlag, Berlin 2018 EUR 25,70