Geteiltes Land

Wer sich für die Geschichte Koreas der letzten hundert Jahre interessiert, ist mit Anna Kims Roman sehr gut bedient. Den aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Südkoreaner Yunho Kang verbindet eine Freundschaft aus Kindheitstagen mit Johnny, dem Sohn des Arbeitgebers seines Vaters. Als Johnny 1960 bei studentischen Ausschreitungen wegen einer manipulierten Wahl gegen den südkoreanischen Diktator Rhee einen regierungsfreund‑lichen Studenten umbringt, fliehen sie nach Japan. Begleitet werden sie dabei von Eve, die mit beiden Männern ein Verhältnis hat. Dort geben sie vor, Geschwister zu sein. Initialisiert durch diese spannende Dreiecksliebesgeschichte, beleuchtet die Autorin ausgewogen das historische Schicksal des Landes, indem sie unterschiedliche zeitliche Intervalle rekonstru‑ iert. Dabei werden die beiden Diktaturen Süd- und Nordkorea nicht gegeneinander ausgespielt, sondern es wird deutlich, inwieweit im Kalten Krieg die Großmächte (USA und Sowjetunion) eine zwielichtige Rolle spielten, so dass die Spaltung des Landes heute nur schwerlich wieder rückgängig zu machen ist. Auch die Einflüsse Japans und Chinas auf die koreanische Zivilgesellschaft werden nachvollziehbar. Anhand zahlreicher eingearbeiteter Sprichwörter wird die Kultur Koreas einfühlsam transferiert. Eine beachtliche Leistung der Autorin, die koreanische Klassenverhältnisse analysiert und die tiefen Risse in den beiden Gesellschaften benennt. ML

Anna Kim: Die große Heimkehr. 559 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2017 EUR 24,70