Herausgeschüttelt

„Schüttle die Worte aus dem Mantel der Freude…“, so beginnt Elisabeth Reicharts zweiter Gedichtband „Mein Geliebter, der Wind“. Oft hat man beim Lesen das Gefühl, dass die Autorin dieser Aufforderung gerne nachkommt. Viele ihrer Worte wirken herausgeschüttelt aus einem Mantel der Freude, aber auch aus einem Umhang der Sehnsucht oder einem Hemd, das Abgründe beherbergt. Allzeit zu spüren die große Liebe der Dichterin zum Wort. Es werden wahrlich Wortkelche gereicht, deren Inhalt den Durst nach Schönheit und Poesie stillt. Manchmal schweben die stimmungsvollen Bilder vorbei wie Staub- oder Schneeflocken und veredeln die Alltagsgedanken, indem sie mitnehmen auf Ausflüge durch Luft und Wasser, Feuer und Erde – eine Hommage an die Elemente, die eine große Metapher für Leben und Menschsein darstellen. Während Feuer und Wind sich eher männlich stark gebärden, finden sich bei Erde und Wasser weichere Töne. Gefährdet sind aber diese Natur­elemente durch menschliches Unvermögen. Sie werden dadurch oft selbst zur Bedrohung – ein ewiges sich gegenseitiges Durchdringen und Verschlingen von Mensch und Natur. Die nicht immer nur harmonischen Bilder, mit erdigen Worten gezeichnet und mit Bezügen zu mythologischen Figuren und Geschichten angereichert, wirken jedoch nie hoffnungslos. Im letzten Kapitel ist ein langes großes Poem, dem Wind, dem Geliebten als Loblied gewidmet. Die Gedichte in diesem Buch sind lesenswert, aber sie enthalten explizit keine feministischen Aussagen oder Sichtweise.
Susanne Niebler
Elisabeth Reichart: Mein Geliebter, der Wind. Gedichte. 144 Seiten, Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien EUR 20,00