In einem Zwischenreich

Kentauren, Sirenen, Traumgestalten, sich in Bäume verwandelnde Frauen sind das bevorzugte Personal der drei Erzählungen, in denen das Schicksal dreier höchst unterschiedlicher Persönlichkeiten den Plot bildet. Die vernachlässigte Ehefrau eines wohlhabenden Mannes, der wenig betrauerte Tod einer Musiklehrerin und die Faszination einer sozial engagierten, lebenstüchtigen Frau für einen jungen Geflüchteten. Das Leitmotiv und Thema der drei Erzählungen sind mythische Figuren aus dem griechischen Altertum. Kompositorisch und sprachlich geschickt integriert die Autorin die mythischen Gestalten eines Kentauren, einer Sirene und möglicherweise des Zeussohnes Apoll in den banalen Alltag ihrer Protagonist_innen. Die Leserin befindet sich in einem Zwischenreich zwischen Traum, Wirklichkeit und Mystik und wird bis zuletzt im Unklaren gelassen über den Realitätsgehalt des Erzählten. Es erscheinen gefiederte Sängerinnen mit den Köpfen von Frauen und Körpern von schwarzen Vögeln, ein vergiftetes Männerhemd und ein schöner junger Gott, der Begehren erregt. Die Verschmelzung mythologischer Geschichten mit dem alltäglichen Leben der Gegenwart erzeugt eine ganz besondere Atmosphäre von zwielichtiger Uneindeutigkeit. Indem die Autorin den Mythos und die darin eingeschriebene Gewalt für die Darstellung konflikthafter Konstellationen im Rahmen bestehender Geschlechterverhältnisse bemüht, fügt sie unseren modernen Versionen des Geschlechterkampfes eine verstärkende und faszinierende Bedeutungsschicht hinzu.
Monika Zopf
Susanna Röckel: Kentauren im Stadtpark. Drei Erzählungen. 224 Seiten, Jung und Jung, Salzburg 2019 EUR 22,00