Intersektionales Transitioning

Jayrôme Robinet erzählt in dieser sehr gut lesbaren, flüssig und fesselnd geschriebenen Sammlung autobiografischer Texte über die Alltagserlebnisse als Transmann in Berlin und bei seiner Familie in Frankreich. Die Welt der Männer ist sehr verwirrend, wenn einer weiblich sozialisiert ist: wie lange halten Männer Augenkontakt? Was ist zu kurz und bedeutet Unterwerfung, was ist zu lang und könnte als Interesse an schwulem Sex missverstanden werden? Und was, wenn man tatsächlich Interesse an schwulem Sex hätte? Und was tut einer, der bisher als weiße Französin gelebt hat, dem jetzt mit dunklem Bart aber plötzlich ein Migrationshintergrund bzw. eine Identität als PoC (Person of Color) zugeschrieben wird? Einerseits ist es lustvoll, als Außenstehender entlang dieser Grenzen, Ein- und Ausschlüsse zu navigieren, andererseits ist es bedrohlich, die Spielregeln nicht genau zu kennen und Strategien der Selbstverortung finden zu müssen. Wunderbar zum Mitdenken und Mitfühlen, nur ein ganz kleines bisschen zu viel Mansplaining, obwohl Jayrôme wirklich versucht hat, es zu vermeiden.
Karin Schönpflug
Jayrôme C. Robinet: Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund. 224 Seiten, Hanser, Berlin 2019 EUR 20,60