Rechtlich ungeschützte LGBTI*-Personen
Können Fälle von Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) angeklagt werden? Was wie eine Wissensfrage klingt, die mit Ja oder Nein beantwortet werden könne, ist in der Realität eine höchst komplexe Angelegenheit, der Katrin Kappler ihre juristische Dissertation gewidmet hat. Eine solche Strafanzeige liegt beim IStGH nämlich vor und um sich dieser Ausgangssituation juristisch im Sinne der Auslegung widmen zu können, durchläuft Kappler einen aufwändigen Parcours durch die Definitionen von „Geschlecht“, „sexueller Orientierung“, „Geschlechtsidentität“ in sozial- und rechtswissenschaftlicher Weise. Anschließend diskutiert sie auf völker- und menschenrechtlichen Ebenen, ob sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität unter die Definition von Geschlecht – und damit ihrer Schutzwürdigkeit – oder politische oder andere anerkannte Gründe fallen, was sie derzeit nicht tun. Limitierend erweist sich in dieser Frage der Grundsatz, wonach etwas nur ein Verbrechen ist, wenn es vor der Tat mit einem Gesetz als solches auch anerkannt war (nullum crimen sine lege). Kappler ortet im Völkerstrafrecht eine diesbezügliche Schutzlücke für LGBTI*-Personen, macht Vorschläge zu ihrer Schließung, berücksichtigt dabei die Relevanz von Herrschafts- und Machtverhältnissen, womit sie sich essentialisierenden Zugängen verwehrt. Eine differenzierte Studie, die am aktuellen Stand der Genderforschung für notwendige Klarheiten und Perspektiven sorgt.
Meike Lauggas
Katrin Kappler: Die Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Band 1: Sexualität in Recht und Gesellschaft. 382 Seiten, Nomos, Baden-Baden 2019, EUR 102,80