Rückzug in die innere Burg

Sogenannte Corona-Literatur als Folge erzwungenen Rückzugs nach innen hat sich als eine der vielen Nebeneffekte der Pandemie erwiesen. Zahllose Veröffentlichungen wollen, sollen oder können beweisen, dass Reflexion stattfindet. Auch Marica Bodrožić zeigt sich von der Situation inspiriert, ihre Überlegungen über den „Stillstand der Welt“ mitzuteilen. Ihr Ausgangspunkt, Rilkes „Panther“ – war für sie Anlass, sich in allabendlichen Lesungen auf dem Balkon mit dem Gedicht, und in Folge mit der aktuellen Situation, zu befassen. Den besagten Panther als Metapher für die Gesellschaft zu übernehmen, beruht aber auf einem Missverständnis. Der Vergleich hinkt – Rilke ging es um den realen, von Menschen lebenslänglich eingesperrten Panther, wie sich leicht an den detaillierten Beschreibungen feststellen lässt. Dessen Eleganz und Wildheit hat rein gar nichts mit heutigen, überwiegend neoliberalen BürgerInnen zu tun. Im Text nimmt Bodrožić – mitunter beliebig wirkende – Anleihen an Philosophien. Sie schreibt einen virtuos opulenten Stil, der auch Alltäglichkeiten schmückt und als gewichtig einkleidet. Manche Erkenntnisse der Selbstreflexionen wirken ungewollt wie ein Spiegel gesellschaftlicher Befindlichkeit, etwa im Abschnitt der Selbstbeobachtung ihrer gedankenlos konsumistischen Attitüde bezüglich Textilfabriken in Bangladesch – bis Wegsehen nicht mehr möglich war. Dennoch beschwört sie die Möglichkeit einer positiven Zukunft mit mehr sozialer Einsicht.
Susa
Marica Bodrožić: Pantherzeit. Vom Innenmaß der Dinge. 262 Seiten, Otto Müller Verlag, Salzburg 2021, EUR 22,00