Schirmachers überlappende Lebenskreise
Das in zugänglicher Sprache geschriebene Buch geht aus einem umfänglichen wissenschaftlichen Projekt hervor und beruht, außer auf all den anderen Quellen, auf dem reichhaltigen Nachlass von Käthe Schirmacher. Als multifokale und kritisch-reflektierende Biografie verweigert sich der Band jeglichen traditionellen Konzepten des Biografischen. Angesichts der komplexen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Genre der Biografie, zu der die Autorinnen auch beitragen wollen, kann dem gar nicht anders sein. Was nun ist dabei herausgekommen? Die Darstellung gibt plastische Einblicke in das ‚Werden‘ der jungen Schirmacher und ihre persönlichen und politischen Netzwerke, die elegant und mögliche Fallen vermeidend analysiert werden. Der Abschnitt zu Schirmachers Agieren in der fortschrittlichen internationalen und deutschen Frauenbewegung fällt flacher aus, etwa wenn es um das Thema Rassismus in der Frauenbewegung, die Stimmrechtsfrage und die vermeintlich unangepasste Transnationalität von Schirmacher geht. Das Kapitel über die letzten beiden Lebensjahrzehnte legt überzeugend dar, dass Schirmachers ‚Wende‘ hin zum Völkisch-Rassistisch-Antisemitisch-Nationalen seit den 1910er Jahren nicht nur einen Bruch darstellte. Vielmehr lässt sich die vermeintliche Wende auch als Neurahmung alter politischer Anliegen in sich wandelnden Zeiten verstehen. Schirmacher agierte, was ihre Selbstpositionierung, ihre politische Agenda und die eigene Auto/Biografie betraf, gezielt – aber auch simpel.
Susan Zimmermann
Käthe Schirmacher – Agitation und autobiografische Praxis zwischen radikaler Frauenbewegung und völkischer Politik. Hg. von Johanna Gehmacher, Elisa Heinrich u. Corinna Oesch. 596 Seiten, Böhlau (open access), Wien/Köln/ Weimar 2018, EUR 57,00