Schwestern – wacht auf!

Wer sich mit Menschenrechten für Frauen befasst und erkannt hat, dass Demokratie und Rechtsstaat ohne Frauen nicht funktioniert, wird im Jubiläumsband einen wahren Schatz an feministischer Rechtskritik, rechtlichem Standardwissen und neuen Topoi finden. Die bekannten Autorinnen garantieren für höchste fachliche Qualität. Vier wichtige frühere Aufsätze von Ursula Floßmann sind bequem nachzulesen, mit denen sie uns in den 90er Jahren die Augen für die Diskriminierungen im patriarchal deformierten Rechtstaat geöffnet hat und damit unsere Intuition für Ungleichheiten in Österreich geschärft hat. Damit gab sie uns das Werkzeug in die Hand, die Rechtsordnung in Richtung Geschlechterdemokratie zu transformieren. Ihr beharrliches Engagement für eine egalitäre Rechtsordnung half uns, die spektakulären feministisch-politischen Ziele der Johanna Dohnal rechtlich schrittweise zu verwirklichen. Doch auch heute gibt es viel zu tun: Die Mehrdimensionalität der Gleichheitsgarantien (Ulrich), LGBTI*Menschenrechte im Rahmen der UN- Frauenrechtskonvention (Greif) und die Pluralität familiärer Lebensformen (Neuwirth) sind wichtige aktuelle Schwerpunkte der feministisch-juristischen Forschungsarbeit, die im Band gut leserlich und spannend dargestellt werden. Der sozialistische August Bebel, der sich für Gleichberechtigung der Frauen einsetzte, hat nie vom Nebenwiderspruch gesprochen – dieses Zitat wurde ihm m.E. in den Mund gelegt, um seine politische Potenz zu nützen und gesellschaftspolitische Anliegen zu priorisieren. Für uns feministische Juristinnen bildet das ungleiche Geschlechterverhältnis im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung nach wie vor eine offene Wunde, die sich im Zuge der aktuellen Repatriarchalisierungstendenz der Weltgesellschaft schon wieder vergrößert, statt zu heilen. Aufwachen und gegensteuern heißt deshalb die Parole!
Lilian Hofmeister
Kritisches Rechtsdenken I – Von der feministischen Rechtsgeschichte zu Legal Gender Studies. Linzer Schriften zu Gender und Recht Nr. 64. Hg. von Ursula Floßmann, Silvia Ulrich, Karin Neuwirth und Elisabeth Greif. 270 Seiten, Trauner, Linz 2021, EUR 24,00