Sex (more than just) sells
Sex oder Sexualität als Mittel zur Wertschöpfung zu betrachten, fällt an sich nicht schwer. Wir denken dabei an monetär entlohnte Sexarbeit oder die enorme Spannbreite der (globalen) Sexindustrie on- und offline. Auch die wissenschaftliche Theorieentwicklung zur Bedeutung von Sexualität innerhalb der gesellschaftlichen Sphären der (Re-)Produktion oder ihre Rolle in der Verortung des Selbst ist mittlerweile sehr umfangreich. Nach zahlreichen und vielfach preisgekrönten Publikationen bietet Eva Illouz nun gemeinsam mit Dana Kaplan einen fundierten Überblick über zeitgenössische soziologische Positionen zu Formen sexuellen Kapitals. Sie unterscheiden entlang historisch-ökonomischer Bedingungen zwischen vier unterschiedlichen Kategorien, die (hier stark simplifiziert ausgedrückt) von der weiblichen Keuschheit als Wert am Heiratsmarkt, über monetär entlohnte Formen der Sexarbeit bis hin zur Kommodifizierung sexueller Attraktivität an sich reichen. Das Herzstück dieses Essays aber bildet die vierte, von den Autorinnen neu entworfene Kategorie des neoliberalen sexuellen Kapitals. Sie argumentieren klar in Bezug auf die spätmoderne Mittelschicht, dass gewisse Eigenschaften, die aus der individuellen sexuellen Erfahrung (ob queer, homo- oder heterosexuell) resultieren (können), genau jenen Anforderungen am Arbeitsmarkt entsprechen, die die prekäre New Economy zu fordern scheint. Das neoliberale Sexualkapital ist als eine Art Ergänzung zu Konzepten des Human- oder kulturellen Kapitals zu denken und vermag jene am Arbeitsmarkt so begehrten Ressourcen wie Selbstbewusstsein, Risikobereitschaft oder emotionale Intelligenz zu befördern. Dieser Essay geht weit über die Ebene „sex sells“ hinaus. Kurzum: Eine dringende Leseempfehlung an all jene, die einer kritischen Analyse der Gegenwart bedürfen!
Miriam Danter
Dana Kaplan und Eva Illouz: Was ist sexuelles Kapital? Aus dem Engl. von Michael Adrian. 125 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2021 EUR 22,00