Zehn Sekunden am Tag

Nun ist der Abschlussband der Trilogie der Georg-Büchner-Preisträgerin Terézia Mora erschienen. Darius Kopp, inzwischen 50 Jahre alt, kehrt nach einem längeren Aufenthalt in Sizilien nach Berlin zurück. Er begleitet seine schwangere Nichte Lore, die ihn unerwarteterweise zuvor in Catania besucht hat. Seine Rückkehr bringt unerfreuliche Rechnungen ans Tageslicht, alte Schulden, die zu begleichen sind und neue, die daraus entstehen, dass man in einer Großstadt schnell „übers Ohr gehaut“ wird. Der ehemalige IT-Spezialist kann nur prekär neu starten. Moras Roman besticht durch die minutiöse Wiedergabe eines unspektakulären Alltags, in dem nicht viel passiert und dennoch die großen Fragen nach dem Sinn des Lebens verhandelt werden. Es ist die Suche nach einer verlässlichen Identität in einer zerrissenen Welt. Welche gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmen die Entscheidungen, die ein Mensch trifft. Die Dissonanz zwischen dem, was Kopp, der Stoffel, Spießer, Rassist, Sexist und Alterschauvinist denkt, und was er sagt und macht, wird spürbar. Er wird getrieben! Sein an multipler Sklerose erkrankter Altfreund erkennt: „Aus uns kann noch alles werden“. Die Erkenntnisse sind bei einer Rückschau über das bisherige Leben vielfältig. Ein nicht gradlinig eingeschlagener Weg offenbart die eigenen Widersprüche im Lebensentwurf und macht ihn interessant.
ML
Terézia Mora: Auf dem Seil. 360 Seiten, Luchterhand, München 2019 EUR 24,70