Notwendige Aufbrüche!
Auch in ihrem dritten Roman verhandelt die in Berlin lebende Schweizer Autorin Yael Inokai wichtige gesellschaftliche Phänomene. Es geht um riskante, operative, neurologische Eingriffe, die eine Wesensveränderung bei Patient:innen erzeugen, so dass diese von aggressiven Stimmungen befreit werden, die von deren sozialer Umwelt als störend empfunden werden. Im Mittelpunkt steht die Krankenpflegerin Meret, die gleichzeitig die Ich-Erzählerin ist. Sie assistiert einem Arzt bei den ethisch verwerflichen Eingriffen, indem sie einen authentischen menschlichen Beitrag leistet. Gegenüber den betroffenen Patient:innen ist sie empathiefähig und nimmt diesen ihre Ängste und Zweifel an der Operation. Ein weiteres Thema ist Merets Liebesbeziehung zu Sarah, ihrer Zimmernachbarin im Schwesternwohnheim. Es ist ein sanfter, schließlich leidenschaftlicher Annäherungsprozess, wobei die großen philosophischen Fragen – wer bin ich, woher komme ich, wohin gehe ich – sich bedeutungsschwer zwischen den Zeilen bewegen. Die jeweiligen familiären Banden spielen dabei eine weitaus gewichtigere Rolle, als wir ihnen gerne beimessen würden. Am Ende münden die beiden Erzählstränge in einen energiegeladenen Befreiungsschlag. Zeitlos und ohne Konkretisierung der Orte, ein fein ziselierter Inhalt, der Veränderungen als Notwendigkeit eröffnet. Ohne das Hinterfragen der eigenen Rollen, die wir Menschen im Leben einnehmen, ist kein eigenverantwortliches Leben möglich. Empfehlenswert!
ML
Yael Inokai: Ein simpler Eingriff. 189 Seiten, Hanser. Berlin 2022 EUR 22,50