Fotoausstellung
2019 in Brüssel streifen drei Frauen zögernd auf der Suche nacheinander durch eine fotografische Werkschau ihrer verstorbenen Freundin aus Tiblissi. Fotos, die ihre erlebten Jugendjahre zeigen, so dass sie selbst gleichzeitig zu Betrachterinnen und Ausstellungsstücken werden. Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit und Jugend Ende der1980er/Anfang der 1990er Jahre im krisen-und gewaltgebeutelten Georgien wechseln sich mit Betrachtungen der Gegenwart, den Werdegängen der Frauen und ihrer bedingungslosen, aber nicht unkomplizierten Freundschaft ab. Der Tag ihrer Abschlussprüfung fiel auf den Tag der Gründung der unabhängigen, mit einem Schlag verarmten Republik. Politisches Chaos und ökonomisches Desaster sind an der Tagesordnung, mafiaähnliche Strukturen bestimmen den Alltag und Heroin überschwemmt die Stadt. Eine Zeit, in der die in der Sowjetunion aufgewachsenen Eltern keinen Erfahrungvorsprung haben. Die preisgekrönte Autorin Nino Haratischwili, in Tiblissi in dieser Zeit aufgewachsen, verfolgt ihre bewährte Strategie, Vertreterinnen entgegengesetzter politischer Strömungen und verschiedener Gesellschaftsschichten aufeinander treffen zu lassen. Die Freundinnen und ihre Familien leben in einem Altbau mit Hinterhof, den sich Bewohner*innen unterschiedlichster Schichten und Zugehörigkeiten teilen und der so einen repräsentativen Ausschnitt der Bevölkerung bietet. Ein packender Coming-Of-Age Roman in den bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen nach der Unabhängigkeitserklärung Georgiens, der die Leserin die 800 Seiten verschlingen lässt.
Sena Doğan
Nino Haratischwili: Das mangelnde Licht. 832 Seiten. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2022 EUR. 35,00