Aufbruch im Umbruch

Im monotonen Fluss der Jahreszeiten – Frühling, Sommer, Herbst & Winter – eingebettet, spielt die Geschichte im historisch turbulenten Jahr 1989 in der slowakischen Kleinstadt Žilina. Schon von Beginn an wird spürbar, dass die Autorin Susanne Gregor eine tiefe Verbundenheit und detailreiches Wissen über die Lebenswelt und den Zeitgeist von Žilina hat. Dies beruht nicht auf Fiktion sondern darauf, dass Gregor bis zu ihrem neunten Lebensjahr in Žilina gelebt hat. Auch wenn der Roman autobiografische Züge trägt, ist er dies nicht unmittelbar. So wird die Geschichte aus den neugierigen Augen der 14-jährigen Miša erzählt. Im Zentrum von Miša Leben zählen neben ihrer Liebe zum Lesen ihre beiden Freundinnen Rita und Slavka. Die drei jungen Frauen leben seit ihrer frühen Kindheit im gleichen Wohnhaus, und so sind nicht nur ihre individuellen Beziehungen eng miteinander verflochten, sondern auch die Verbindungen zwischen den drei Familien.
Miša beobachtet und spürt, dass sich zwischen den Freundinnen und ihr zuvor nie spürbare Unterschiede und Klüfte auftun. Miša, noch mehr Kind als erwachsen, Rita, schon mehr erwachsen als Kind und in der Mitte Slavka, die sich (noch) in beiden Welten wohlfühlt. Die Synchronität der Entwicklung des Trios wird durch die Adoleszenzsphase durchbrochen und destabilisiert so das soziale Leben von Miša. Oft subtil, aber stets spürbar wird der politische und gesellschaftliche Umbruch in die Erzählung eingearbeitet und bleibt mehr als ein Nebengeräusch.

Ines Schnell

Susanne Gregor: Das letzte rote Jahr. 223 Seiten, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/M. 2019, EUR 22,00